Maigret und Monsieur Charles
entlang...«
Ein weiteres Zimmer, in dem nur ein älterer Herr saß, der über etwas gebeugt war, das das Rechnungsbuch sein musste. Er warf einen gleichgültigen Blick auf Maigret, der in den Nachbarraum hinüberging, wo fünf Angestellte arbeiteten.
»Ist Monsieur Lecureur allein?«
»Ich glaube ja.«
»Würden Sie zu ihm hinübertelefonieren und fragen, ob er Kommissar Maigret empfangen kann?«
Sie warteten einen Augenblick im Stehen, dann öffnete sich eine gepolsterte Tür.
»Treten Sie bitte ein... Sie kommen mir keineswegs ungelegen...«
Lecureur war jünger als der Kommissar ihn sich vorgestellt hatte, als man ihm gesagt hatte, er habe schon bei dem alten, verstorbenen Notar gearbeitet. Er musste noch unter fünfzig sein. Er war brünett, mit einem Schnurrbärtchen, und sein Anzug war dunkelgrau, beinahe schwarz.
»Nehmen Sie doch bitte Platz...«
Auch hier Holztäfelungen. Der Begründer der Kanzlei musste eine unmäßige Vorliebe für mit dunklem Holz verkleidete Wände gehegt haben.
»Sie sind von Madame Sabin-Levesque alarmiert worden, nehme ich an?«
Hier waren die Möbel aus Mahagoni, im Empire-Stil.
»Sie vertreten vermutlich Ihren Chef, während er auf seinen Ausflügen ist?«
»Das ist meine Pflicht als Kanzleileiter. Es gibt aber Akten, die ich nicht unterzeichnen darf, und dann komme ich ziemlich in Verlegenheit.«
Er war ein ruhiger Mann und hatte die distinguierte Art, wie sie Leuten eigen ist, die mit der vornehmen Welt verkehren. Er war nicht gerade servil, aber in seinem Verhalten war eine Spur von Unterwürfigkeit.
»Gab er Ihnen Bescheid, wenn er auf diese Weise verschwand?«
»Nein. Er plante es nie im Voraus. Natürlich weiß ich nichts über sein Leben außerhalb des Büros... Ich muss mich an Hypothesen halten... Er ging oft abends aus, fast jeden Abend eigentlich...«
»Moment. Beteiligte er sich aktiv an der Kanzleiarbeit?«
»Er verbrachte den größten Teil des Tages in seinem Büro und empfing die meisten Klienten selbst... Er machte nicht den Eindruck eines vielbeschäftigten Mannes, und doch hatte er mehr zu tun als ich... Vor allem, was die Vermögensverwaltung betraf, den An- und Verkauf von Landsitzen und Schlössern... Er hatte einen ganz besonderen Riecher, und ich wäre nicht imstande gewesen, ihn zu ersetzen...«
»Liegt sein Büro neben Ihrem?«
Lecureur öffnete eine Tür.
»Das ist es... Die Möbel sind, wie Sie sehen, im gleichen Stil gehalten, aber es gibt drei Sessel mehr.«
Keinerlei Unordnung. Kein Staub. Das Büro des Notars ging auf den Boulevard Saint-Germain, und man hörte das monotone Rauschen des Verkehrs.
Die beiden Männer setzten sich wieder.
»Anscheinend dauerten seine Eskapaden sonst nur zwei, drei Tage...«
»In letzter Zeit manchmal auch eine Woche.«
»Blieb Ihr Chef mit Ihnen in Verbindung?«
»Er rief mich fast immer an, um zu hören, ob es nichts Neues gab, und ob er nicht gebraucht wurde...«
»Wissen Sie, woher er anrief?«
»Nein.«
»Ist Ihnen bekannt, ob er ein Zimmer in der Stadt hatte?
»Das ist eine Möglichkeit, an die ich schon gedacht habe. Er hatte nie viel Geld bei sich und bezahlte fast alles per Scheck... Die Talons gingen durch meine Hände, bevor sie zur Buchhaltung kamen...«
Er schwieg mit gerunzelten Brauen.
»Ich frage mich, ob ich berechtigt bin, auf solche Fragen einzugehen. Ich bin immer noch durch das Berufsgeheimnis gebunden.«
»Nicht, wenn er ermordet worden ist...«
»Denken Sie das im Ernst?«
»Seine Frau scheint es zu denken.«
Er zuckte die Achseln, als wolle er damit andeuten, dass das, was sie sagte, keine große Bedeutung habe.
»Ich muss gestehen, dass ich auch schon daran gedacht habe. Es ist das erste Mal, dass er so lange wegbleibt und mich auch nicht anruft. Vor acht Tagen hatte er hier einen Termin mit einem unserer wichtigsten Klienten, einem der größten Grundbesitzer Frankreichs, wenn nicht dem größten überhaupt. Das wusste er... Trotz seiner zerstreuten Art und seines wenig seriösen Aussehens vergaß er nie etwas und war in seinem beruflichen Leben ziemlich pedantisch...«
»Was haben Sie gemacht?«
»Ich habe den Termin auf später verschoben, unter dem Vorwand, er liege im Krankenhaus.«
»Warum haben Sie trotz Ihres Verdachts nicht die Polizei benachrichtigt?«
»Das war nicht meine Sache, sondern die seiner Frau...«
»Sie kommt anscheinend nie in die Kanzlei herunter.«
»Das ist richtig... Vor Zeiten ist sie ein-, zweimal heruntergekommen, aber sie
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