Maigret und Monsieur Charles
geht er mit dem Mädchen fort... Ein andermal beschränkt er sich darauf, ihr diskret einen Fünfhunderter zuzustecken, und geht... Wahrscheinlich, um woanders weiterzusuchen ...«
»Haben Sie ihn lange nicht mehr gesehen?«
»Ziemlich lange, ja... Sechs Wochen vielleicht? Vielleicht auch zwei Monate...«
»Wenn er eine der Frauen mitnahm, blieb die dann nicht für mehrere Tage fort?«
»Sprechen Sie nicht so laut. Der Chef mag das nicht. Dort ist er, zwischen den Tischen.«
Ein Herr im Smoking, ein italienischer Typ mit lockigem Haar und schmalem Schnurrbärtchen. Er beobachtete sie aus der Ferne. Ob er den Kommissar wohl auch erkannt hatte?
»Die Animierdamen dürfen eigentlich nicht Weggehen, bevor wir dichtmachen...«
»Ich weiß... Mir ist aber auch bekannt, dass man das nicht immer so genau nimmt... Ist ein Mädchen da, die einmal mit ihm gegangen ist?«
»Martine, glaube ich... Wenn Sie mit ihr sprechen wollen, wäre es besser, Sie würden sich an ihren Tisch setzen... Ich lasse Ihnen eine Flasche bringen...«
Die junge Frau mit weich auf die Schultern fallendem Haar blickte sie neugierig an.
Einige Gäste waren eingetroffen, manche davon mit ihren Frauen, und die kleine Band spielte einen Blues.
»Haben Sie etwas zu trinken bestellt?« fragte sie.
»Der Barkeeper hat für uns bestellt«, grummelte Maigret und dachte dabei an die Schwierigkeiten, die er mit seiner Spesenrechnung haben würde.
»Waren Sie schon mal hier?«
»Nein.«
»Möchten Sie, dass ich eine meiner Kameradinnen rufe?«
Der Chef, der neben ihrem Tisch stand, sagte zu ihr:
»Pass auf, Martine. Das sind Polizisten.«
»Stimmt das?« fragte sie Maigret.
»Es stimmt.«
»Warum kommen Sie gerade auf mich zu?«
»Weil Sie einmal mit Monsieur Charles ausgegangen sind.«
»Und ist da etwas Böses dabei?«
Sie wollte ihn nicht herausfordern. Sie sprach immer noch sanft und freundlich, und das Abenteuer schien sie zu belustigen.
»Nein. Die Sache ist nur die, dass Monsieur Charles vor einem Monat verschwunden ist. Am 18. Februar, genau gesagt... Haben Sie ihn seither gesehen?«
»Ich wunderte mich schon, dass er nicht mehr kommt, und habe mit einer meiner Freundinnen darüber gesprochen...«
»Was halten Sie von ihm?«
»Er heißt offenbar gar nicht Charles. Er muss ein bedeutender Mann sein, der gezwungen ist, seine wahre Identität zu verbergen, wenn er sich amüsieren will. Er ist sehr gepflegt, sehr gewissenhaft. Ich habe zu ihm gesagt, er habe Hände wie eine Frau, so sorgfältig waren sie manikürt...«
»Wohin sind Sie mit ihm gegangen?«
»Ich dachte, er wolle mich in ein Hotel führen, aber er fragte mich, ob ich ihn nicht bei mir zu Hause aufnehmen könne... Ich habe ein hübsches Studio in der Avenue de la Grande-Armee... Ich empfange keinen Besuch dort... Im Übrigen bin ich selten bereit, mit einem Gast auszugehen... Man glaubt, dazu seien die Animiermädchen da, aber das stimmt nicht...«
Der Champagner war serviert worden, und sie hob ihr Glas.
»Auf Monsieur Charles, denn seinetwegen sind Sie hier. Hoffentlich ist ihm nichts passiert.«
»Das wissen wir nicht. Er ist ganz einfach verschwunden ...«
»Macht seine Frau sich Sorgen? Die Halbverrückte?«
»Hat er Ihnen von ihr erzählt?«
»Wir haben vier Tage zusammen verbracht... Er war amüsant, denn er wollte mir unbedingt beim Kochen und Geschirrspülen helfen... Ab und zu sprach er von ihr, aber immer ziemlich vage... Wer ist er denn?...«
»Ein bedeutender Mann, wie Sie schon erraten haben ...«
»Wohnt er in Paris?«
»Ja.«
»Und von Zeit zu Zeit gönnt er sich einen kleinen Seitensprung, nehme ich an...«
»Richtig... Für vier Tage, fünf Tage, eine Woche...«
»Ich rief meinen Chef, Monsieur Mazotti, an und sagte ihm, ich sei krank, aber vermutlich glaubte er mir nicht... Als ich wieder ins Le Chat Botté zurückkam war er sauer auf mich...«
»Wie lang liegt die Begegnung, von der Sie sprechen, zurück?«
»Zwei Monate? Vielleicht auch etwas länger...«
»Vorher war er nie in die Rue du Colisée gekommen?«
»Ich hatte ihn schon hin und wieder an der Bar gesehen ... Er fand wohl nicht, was er suchte, denn er ging allein weg...«
»Besuchte er auch andere Nachtclubs?«
»Das hat er mir nicht gesagt, aber ich vermute es.«
»Hatte er einen Wagen?«
»Nein. Wir sind zu Fuß zu mir gekommen, Arm in Arm. Er war sehr fröhlich...«
»Trank er viel?«
»Viel kann man es nicht nennen; gerade genug, um einen netten Schwips zu
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