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Maigret und Pietr der Lette

Maigret und Pietr der Lette

Titel: Maigret und Pietr der Lette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Türklinke, die nicht nachgeben wollte. Es hätte beinahe Streit gegeben, weil der Wirt seinem Gast helfen wollte, der ihn jedoch mit den Ellbogen zurückstieß.
    Der Trenchcoat verschwand am Ende auf dem Quai in Richtung Bahnhof im Nebel und Regen.
    »Das ist eine Marke!« seufzte der Wirt, zu Maigret gewandt, der seine Rechnung bezahlte.
    »Kommt er oft?«
    »Hin und wieder … Einmal hat er die Nacht hier verbracht, auf der Bank, auf der Sie gesessen haben … Er ist Russe … Russische Matrosen, die einmal zur selben Zeit hier waren wie er, haben es mir gesagt … Er scheint eine gute Ausbildung bekommen zu haben … Haben Sie seine Hände gesehen? …«
    »Finden Sie nicht, daß er Käpten Swaan ähnelt?«
    »Ah, Sie kennen ihn … Natürlich! … Zwar nicht so, daß man sie verwechseln könnte … Aber immerhin! … Ich habe lange geglaubt, er wäre sein Bruder …«
     
    Die beige Gestalt verschwand um eine Ecke. Maigret ging schneller.
    Er erreichte den Russen, als dieser den Wartesaal dritter Klasse betrat, sich auf eine Bank fallen ließ und den Kopf wieder in beide Hände stützte.
    Eine Stunde später saßen sie im selben Abteil in Gesellschaft eines Viehhändlers aus Yvetot, der Maigret hübsche Geschichten in normannischem Dialekt erzählte und ihn von Zeit zu Zeit mit dem Ellbogen anstieß, um seine Aufmerksamkeit auf ihren Nachbarn zu lenken.
    Der Russe sank langsam in sich zusammen und war zuletzt auf der Holzbank ganz zusammengesackt; der bleiche Kopf war auf die Brust gesunken, der halb geöffnete Mund stank nach Alkohol.

6
    Hotel Roi de Sicile
     
    Von La Bréauté an, wo er aufwachte, schlief der Russe nicht mehr. Allerdings war der Expreßzug Le Havre-Paris überfüllt. Maigret und sein Begleiter blieben auf dem Gang; jeder stand vor einer Tür und blickte auf die vorbeiziehende, undeutliche Landschaft, die die Nacht allmählich verschlang.
    Der Mann im Trenchcoat zeigte sich kein einziges Mal durch die Gegenwart des Polizeibeamten beunruhigt. Auf dem Bahnhof Saint-Lazare machte er keinerlei Versuch, ihm im Schutz der Menschenmenge zu entkommen.
    Im Gegenteil, er stieg langsam die große Treppe hinunter, stellte fest, daß seine Zigarettenpackung naß war, kaufte am Bahnhofskiosk eine neue und schien die Schenke betreten zu wollen. Doch er besann sich und ging schleppend die Straße entlang, eine bedrückende Gestalt, die so verlassen und mutlos wirkte, daß ihr alles gleichgültig zu sein schien.
     
    Vom Saint-Lazare bis zum Rathaus ist es weit. Man muß das ganze Stadtzentrum durchqueren, und abends zwischen sechs und sieben strömen Fußgänger in großen Schwärmen über die Bürgersteige, und die Autoschlangen bewegen sich so langsam und gleichmäßig weiter wie das Blut in den Adern.
    Mit seinen schmalen Schultern, seinem strenggegürteten Regenmantel, der voller Schmutz- und Fettflecken war, seinen abgetretenen Schuhen stapfte der Mann durch die hellerleuchteten und bewegten Straßen, wurde angerempelt, wankte weiter, ohne stehenzubleiben oder sich umzusehen.
    Er nahm den kürzesten Weg über die Rue du 4-Septembre und durch die Hallen, woraus deutlich wurde, daß er die Strecke kannte.
    Er erreichte das ›Getto‹ von Paris, dessen Kern die Rue des Rosiers bildet, kam an Läden mit jiddischen Schriftzügen vorbei, an koscheren Metzgereien und an Auslagen mit ungesäuertem Brot.
    An einer Straßenbiegung in der Nähe eines langen und finsteren Durchgangs, der einem Tunnel glich, wollte eine Frau ihn unterhaken, aber ohne daß er ein Wort gesagt hätte, ließ sie, zweifellos eingeschüchtert, von ihm ab.
    Schließlich landete er in der Rue du Roi de Sicile, einer unregelmäßig verlaufenden Straße, von der Sackgassen, Gäßchen und wimmelnde Hinterhöfe abgingen, halb Judenviertel, halb schon polnische Kolonie, und nach zweihundert Metern verschwand er im Flur eines Hotels.
     
    Fayencebuchstaben verkündeten: Roi de Sicile , Zum König von Sizilien. Darunter standen Informationen in Hebräisch, Polnisch und anderen, unverständlichen Sprachen, wahrscheinlich auch in Russisch.
    Daneben erhob sich ein Gerüst, unter dem man die Reste eines Wohnhauses erkennen konnte, das mit Balken abgestützt werden mußte.
    Es regnete immer noch. Aber der Wind drang nicht bis zu diesem schmalen Gang durch.
    Maigret hörte, wie in der dritten Etage ein Fenster zugeschlagen wurde. Er zögerte nicht länger als der Russe und trat in das Hotel.
    Keine Tür in dem ganzen Flur. Eine Treppe. Im

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