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Maigret und Pietr der Lette

Maigret und Pietr der Lette

Titel: Maigret und Pietr der Lette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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bringen.
    Dann ging er schwerfällig zum Wandschrank, in dem sich ein Emailwaschbecken, ein Handtuch, ein Spiegel und ein Koffer befanden. Er zog den Koffer mitten ins Büro, entkleidete sich, zog trockene Sachen und frische Wäsche an und fuhr zögernd mit der Hand über sein unrasiertes Kinn.
    »Ach was!«
    Er warf einen genüßlichen Blick auf das prasselnde Feuer, stellte zwei Stühle hin und breitete seine durchnäßten Kleidungsstücke darauf aus. Auf seinem Schreibtisch lag noch ein Sandwich von der vergangenen Nacht, und er verschlang es im Stehen, zum Weggehen bereit. Nur Bier war keins mehr da. Und er hatte eine recht trockene Kehle.
    »Falls irgend etwas Wichtiges sein sollte, ich bin im Majestic«, sagte er zu Jean. »Dort kann man mich anrufen.«
    Und dann ließ er sich in das Polster eines Taxis fallen.

7
    Die dritte Pause
     
    Maigret fand seinen Kollegen Torrence nicht in der Halle, sondern in einem Zimmer der ersten Etage, wo für ihn ein ausgezeichnetes Abendessen serviert war. Der Kriminalobermeister blickte verschmitzt auf.
    »Das hat der Geschäftsführer veranlaßt …«, erklärte er. »Er sieht mich lieber hier als unten … Er hat mich fast angefleht, dieses Zimmer zu nehmen und die feinen Mahlzeiten, die er mir bringen läßt …«
    Er sprach leise. Er zeigte auf eine Tür.
    »Die Mortimers sind nebenan …«
    »Mortimer ist zurückgekommen?«
    »Gegen sechs Uhr morgens, naß, verdreckt, wütend, die Kleidung voller Kreide oder Kalk …«
    »Was hat er gesagt?«
    »Nichts … Er hat versucht, unbemerkt sein Zimmer zu erreichen. Aber man hat ihm mitgeteilt, daß seine Frau in der Bar auf ihn wartete. Und das stimmte auch. Sie hatte schließlich ein brasilianisches Ehepaar eingeladen … Nur ihretwegen mußte die Bar offengehalten werden … Sie war fürchterlich betrunken …«
    »Und weiter?«
    »Er ist blaß geworden. Sein Mund verzerrte sich. Er hat die beiden Brasilianer nur kühl gegrüßt, dann hat er seine Frau am Arm gepackt und wortlos hinausgeschleppt … Ich bin sicher, daß sie bis vier Uhr nachmittags geschlafen hat. Bis dahin war in ihrem Appartement kein Laut zu hören … Dann Geflüster … Mortimer hat telefoniert, man sollte ihm Zeitungen bringen …«
    »Sie haben doch hoffentlich nicht über den Fall berichtet?«
    »Kein Wort! Die Anweisungen sind befolgt worden. Nur eine Kurzmeldung, daß im Nordexpreß eine Leiche gefunden wurde und die Polizei von einem Selbstmord ausgeht …«
    »Weiter?«
    »Der Kellner hat ihnen Zitronensaft heraufgebracht. Um sechs ist Mortimer ein paarmal durch die Halle gegangen und zwei- oder dreimal in Gedanken versunken nah an mir vorbeigekommen. Er hat chiffrierte Telegramme an seine New Yorker Bank und an seinen Sekretär aufgegeben, der sich seit einigen Tagen in London aufhält …«
    »Ist das alles?«
    »Jetzt essen sie zu Abend. Austern, gebratenes Huhn, Salat. Man hält mich über alles auf dem laufenden. Der Geschäftsführer ist so froh, mich hier eingesperrt zu haben, daß er sich schier überschlägt, um mir gefällig zu sein. So hat er mir eben mitgeteilt, daß die Mortimers Karten für das ›Gymnase‹ haben. Die Epopée . Vier Akte von ich weiß nicht mehr wem …«
    »Das Appartement von Pietr?«
    »Nichts! Niemand hat es betreten. Ich habe die Tür abgeschlossen und ein Wachskügelchen ins Schloß gedrückt, so daß keiner hinein kann, ohne daß ich es merke …«
    Maigret hatte zu einer Hühnerkeule gegriffen, die er wie selbstverständlich verschlang, während er vergebens nach dem nicht vorhandenen Ofen suchte. Schließlich setzte er sich auf die Heizung und fragte:
    »Nichts zu trinken?«
    Torrence reichte ihm ein Glas mit ausgezeichnetem weißen ›Mâcon‹, das er hinunterkippte. Im selben Augenblick wurde an die Tür geklopft; ein Hotelangestellter trat mit Verschwörermiene ein:
    »Der Geschäftsführer bittet mich, auszurichten, daß Herr und Frau Mortimer ihren Wagen haben vorfahren lassen.«
    Maigret warf einen bedauernden Blick auf den noch immer reich gedeckten Tisch – genauso hatte er kurz vorher den Ofen in seinem Büro angesehen.
    »Ich gehe schon«, sagte er unwillig. »Bleiben Sie hier!«
    Vor dem Spiegel machte er sich ein wenig zurecht, wischte seine Lippen und das Kinn ab. Wenig später wartete er in einem Taxi darauf, daß die Mortimer-Levingstons in ihre Limousine stiegen.
     
    Sie erschienen auch bald, er in einem schwarzen Überzieher, der seinen Anzug verbarg, sie wie am Abend zuvor in Pelze

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