Maigret verteidigt sich
überrascht, daß er den Sinn der Frage nicht sofort begriff.
»Was sagten Sie?«
»Ich fragte Sie, ob Sie gern tanzen, moderne Tänze natürlich, denn Sie werden nicht erwarten, daß man hier Walzer oder Polka tanzt… Tanzen Sie auch, Madame Maigret?«
Da sie nicht wußte, was sie antworten sollte, blickte sie ihren Mann hilfesuchend an.
»Ja, wir tanzen beide. Wundert Sie das?«
»Ein wenig. Ich habe Sie noch nie auf einer Tanzfläche gesehen, und so, wie man Sie darstellt…«
»Als dicken Tölpel, der an seiner Pfeife zieht und dabei eine mürrische Miene macht.«
»Das habe ich nicht gesagt. Haben Sie ernstlich vor, Mitglied zu werden?«
»Ernstlich.«
»Kennen Sie zwei Mitglieder des Klubs, die für Sie bürgen könnten? Auch das zeigt Ihnen, daß es sich um einen wirklichen Klub handelt. Jeder Kandidat muß von zwei Bürgen eingeführt werden, und ein Komitee aus zwölf Mitgliedern entscheidet mit Mehrheit über seine Zulassung…«
»Wenn ich die Liste der Mitglieder einsehen könnte, würde ich dort bestimmt mehr als zwei mir bekannte Personen finden, die meine Kandidatur unterstützen würden.«
Marcel Landry zuckte nicht mit der Wimper. Sie wußten beide, daß sie Komödie spielten. Landry musterte den Kommissar mit einem scharfen, mehr ärgerlichen als beunruhigten Blick, fand dann aber sein Lächeln wieder und ging zur Treppe. Bald darauf kam er mit einem in Leder gebundenen Register wieder.
»Dieses Buch liegt immer auf einem Tischchen hinter dem Vorhang. Wie Sie sehen, enthält es nicht nur die Namen und Adressen der Mitglieder, sondern auch der Bürgen von jedem.
Es würde mich überraschen, wenn Sie darin einige von Ihren Klienten fänden.
Buchstabe A: Abouchère, Sohn des Senators Abouchère… Graf d’Arceau… Bei uns trägt er seinen Titel nicht. Sein Vater ist Mitglied des Jockeiklubs, und er wird es ebenfalls werden, wie sein Großvater und sein Urgroßvater es schon gewesen sind… Barillard, von der Firma Barillardôle… Mademoiselle Barillard, die im nächsten Monat Eric Cornal von der Keksfabrik Cornal heiratet, den sie hier kennengelernt hat.
Einige studieren, und wir sehen sie im Augenblick wenig, denn es ist jetzt die Zeit der Prüfungen. Andere arbeiten. Wir haben auch Ehepaare als Mitglieder…«
Die Adressen waren das, was man gute Adressen nennt, sie verrieten, daß es sich um ›jemand‹ handelte.
Maigret ließ seinen Finger über die Seite gleiten, wobei er die Lippen bewegte. Dann tippte er auf einen Namen:
Francois Mélan, achtunddreißig Jahre, Zahnarzt, Rue des Acacias 32.
»Ist das nicht der Zahnarzt, der in der kleinen Villa wohnt?«
»Ich muß gestehen, ich bin noch nie bei ihm gewesen. Er kommt oft, obwohl er kaum tanzt. Er scheint ein bemerkenswert intelligenter Mann zu sein…«
Der Finger glitt weiter die Seite hinunter und hielt dann von neuem inne, wobei Maigret sich bemühte, sein Interesse nicht zu zeigen.
»Nicole Prieur, siebzehn Jahre, Boulevard de Courcelles 42.«
Das Interessanteste aber stand in der Kolonne, die den Bürgen vorbehalten war: Bei Nicole war es niemand anders als Dr. Francois Mélan und Martine Bouet.
»Ist Mademoiselle Bouet nicht eine große Blondine?«
»Ich sehe daran, daß Sie sie kennen. Sie ist eine der besten Tänzerinnen des Klubs und mit Mademoiselle Prieur eng befreundet…«
»Kommt Mademoiselle Prieur oft?«
Landry klopfte mit den Fingern auf den Tisch. Vielleicht hatte er sich nichts vorzuwerfen, aber in dem zwielichtigen Beruf, den er sich gewählt hatte, war es unklug, es mit der Polizei zu verderben.
Die Instruktionen des Polizeipräfekten waren noch nicht in die Avenue de la Grande Armee gelangt. Madame Maigret sah ihrem Mann interessiert bei seiner Arbeit zu. Es war das erstemal, daß sich ihr dazu die Gelegenheit bot. Sie versuchte zu erraten, was sich unter den scheinbar banalen Worten, die die beiden Männer wechselten, verbarg.
»Mademoiselle Prieur ist eine unserer Treuesten. Man sieht sie mindestens zwei- oder dreimal in der Woche hier…«
»Allein?«
»Allein oder mit einer Gruppe.«
»Bleibt sie bis zum Schluß?«
»Ziemlich häufig.«
»Wann schließen Sie?«
»Das kommt auf die Gäste an. Manchmal bringen Mitglieder einen Theater- oder einen Filmstar mit, einen Sänger oder eine Sängerin, irgendeine Berühmtheit. Es ist vorgekommen, daß wir erst um sechs Uhr morgens das Licht gelöscht haben, aber meistens ist um zwei Uhr, drei Uhr niemand mehr da.«
»War Mademoiselle Prieur
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