Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maigret verteidigt sich

Maigret verteidigt sich

Titel: Maigret verteidigt sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
gestern gesagt hat, daß sie dort in Behandlung ist.«
    »Nein.«
    »Was dann? Ich verstehe das alles nicht mehr. Sie wollen mir doch wohl nicht einreden, daß er auch Ihr Zahnarzt ist?«
    »Ich will auf Aline warten, dann brauche ich mich nicht zu wiederholen.«
    Er ging zum Fenster. Die Hände in den Taschen, blickte er hinaus, besonders zu dem Fenster mit der Tüllgardine hin, hinter dem Dr. Mélan seine Patientin behandelte.
    Man konnte nicht hineinsehen. Man nahm nur hellere Flecke wahr, vor allem den Kittel des Zahnarztes, wenn er sich dem Fenster näherte, um ein Instrument zu ergreifen.
    »Wie oft war ich in einer Woche hier, Manuel?«
    »Dreimal. Sie nehmen so viel Platz ein, daß ich am liebsten antworten würde, zehnmal. Als ich noch in der Rue Fontaine war, merkte man das nicht so. In einer Bar ist ein ständiges Kommen und Gehen. Jeder hat das Recht, etwas zu trinken, und viele Gäste unterhalten sich gern. Um so schlimmer für den Wirt, wenn ihn das stört. Es ist sein Beruf.
    Aber hier ist unsere Wohnung, Alines und meine. Die Wohnung eines Menschen ist heilig, nicht wahr? Selbst die Polizei darf nicht ohne einen schriftlichen Befehl eindringen. Habe ich recht?«
    Maigret hatte nicht zugehört und machte nur eine vage Geste.
    »Wie oft«, fragte er, »habe ich mich, während ich mich unterhielt, vor dieses Fenster gestellt?«
    Manuel zuckte die Schultern. Die Frage erschien ihm sinnlos.
    »Ich weiß nur, daß Sie nie lange sitzen bleiben.«
    In seinem Büro am Boulevard Richard-Lenoir hatte Maigret die Gewohnheit, ans Fenster zu gehen und dort stehenzubleiben und irgend etwas zu betrachten – die Fenster gegenüber, die Bäume, die Seine oder die Passanten. Überall suchte er instinktiv einen Kontakt mit der Außenwelt. Aline kam in einem kanariengelben Bademantel herein, Wassertropfen in ihrem ungekämmten Haar.
    »Was habe ich gestern gesagt? Hat er seinen Pyjama mitgebracht?«
    Aber als sie sah, daß Maigret ernster war als sonst, hörte sie auf zu scherzen.
    »Aline, ich bin nicht hier, um Sie zu ärgern, und ich gebe Ihnen mein Wort, daß die Untersuchung, die ich führe, weder Sie noch Manuel betrifft, jedenfalls zumindest im Augenblick nicht.«
    Sie blickte ihn trotzdem argwöhnisch an.
    »Antworten Sie mir offen. Das wird besser für alle sein, glauben Sie mir. Waren Sie wirklich gestern das erstemal in dem Hause gegenüber?«
    »Natürlich. Ich habe zum erstenmal in meinem Leben Zahnschmerzen gehabt.«
    »Ich habe Sie vorhin am Fenster gesehen. Sie rauchten eine Zigarette.«
    »Waren Sie dort?«
    Sie deutete auf das Fenster mit der Tüllgardine.
    »Auf dem gleichen Behandlungsstuhl, auf dem Sie gesessen haben. Sie lehnen wohl oft aus dem Fenster?«
    »Wie alle… Man muß schließlich mal Luft schöpfen.«
    »Kennen Sie einen der Bewohner der Villa?«
    »Sind es viele? Ich dachte…«
    »Was dachten Sie?«
    »Daß dort nur der Zahnarzt, Carola und die Sekretärin wohnen.«
    »Ist Carola das Mädchen?«
    »Mädchen, Köchin, alles, was man will. Sie muß das Haus allein in Ordnung halten. Ich treffe sie manchmal in den Geschäften des Viertels. Wegen ihres Akzents habe ich sie gefragt, ob sie Spanierin ist, und sie hat mir geantwortet, ja. Sie ist nicht gerade gesprächig, aber wir sagen uns trotzdem guten Tag.«
    »Und die andere?«
    »Mademoiselle Motte.«
    »Wissen Sie ihren Namen von Carola?«
    »Ja. Sie schläft nicht im Hause. Mittags ißt sie in einem kleinen Restaurant am anderen Ende der Straße. Um zwei Uhr nimmt sie ihren Dienst wieder auf. Abends bleibt sie manchmal länger, bis sieben oder acht.«
    »Wissen Sie nicht, wo sie wohnt?«
    »Ich habe mich nie dafür interessiert. Aus der Nähe wirkt sie noch abstoßender.«
    »Hat sie Ihre Karteikarte ausgefüllt?«
    »Wie einen Paß.«
    »Hat sie Ihnen keine indiskreten Fragen gestellt?«
    »Sie hat mich gefragt, wer mir die Adresse des Arztes gegeben hat. Ich habe ihr geantwortet, ich wohne gegenüber, übrigens doch, eine merkwürdige Frage hat sie mir gestellt: ›In welchem Stock?‹«
    »Ist das alles?«
    Aline dachte nach.
    »Ungefähr. Ich wüßte nicht… Es sei denn… Ich stand vor ihr, und sie hat mich von Kopf bis Fuß mit ihren kleinen harten und bösen Augen gemustert.
    ›Leiden Sie nicht an etwas anderem?‹ hat sie mich gefragt.
    Ich habe nein gesagt, und sie hat es darauf beruhen lassen. Man bringt schließlich ja keinen Impfschein mit, wenn man zum Zahnarzt geht!«
    Manuel kannte Maigret gut genug, um zu merken,

Weitere Kostenlose Bücher