Maigret verteidigt sich
gehen.«
Siebentes Kapitel
Um halb zwölf kam Maigret in sein Büro und warf seinen Hut auf einen Sessel. Er hatte noch nicht die Zeit gehabt, sich eine Pfeife auszusuchen, als es schon an die Tür klopfte und der alte Joseph eintrat.
»Der Herr Direktor möchte Sie sprechen, Herr Kommissar. Es ist schon das drittemal, daß er mich zu Ihnen schickt.«
Übrigens, der traurige Barnacle mit den empfindlichen Füßen war nicht der Dienstälteste im Hause, sondern der Bürodiener mit der Silberkette. Da er den ganzen Tag in einem Vorzimmer verbrachte, in das kein Sonnenstrahl eindrang, hatte er eine wächserne Gesichtsfarbe bekommen. Der Kommissar folgte ihm zum zweitenmal an diesem Vormittag in das Büro des Leiters der Kriminalpolizei, dessen Schwelle er wohl schon Tausende Male überschritten hatte.
»Setzen Sie sich, Maigret…«
Man deutete auf einen Sessel, der nicht in der Sonne und nicht im Schatten stand. Durch die drei offenen Fenster drangen alle Geräusche von draußen herein. Als wollte er diesem Gespräch einen vertraulicheren Charakter geben, erhob sich der Direktor, um sie zu schließen. Er wirkte ziemlich verlegen.
Der Direktor hieß Roland Blutet. Er hatte sich bemüht, sich dem Ton des Hauses, wie man damals die Kriminalpolizei nannte, anzupassen, diesem schwer zu beschreibenden Ton, mürrisch und vertraulich zugleich, ohne überflüssige Höflichkeiten, der sich darauf gründete, daß einer dem anderen vertraute.
Vor noch nicht so langer Zeit leitete man eine Abteilung, ohne viele Diplome, dafür aber Menschenkenntnis zu besitzen. Nichts erstaunte einen. Nichts empörte einen.
Die schlimmsten Verbrecher hatten einem gegenübergestanden, und oft hatte man sie weinen sehen. Man hatte auch Männer erlebt, die ihr Leben aufs Spiel setzten, um einen anderen zu verhaften, den die Gerichte dann wieder auf freien Fuß setzten und der sein dunkles Treiben von neuem begann.
»Ich habe Sie heute vormittag dreimal rufen lassen, Maigret…«
»Man hat es mir soeben gesagt.«
»Sie waren nicht in Ihrem Büro.«
Der Leiter der Kriminalpolizei wußte nicht, wohin er blicken sollte. Seine Hand zitterte, als er sich eine Zigarette ansteckte.
»Ich glaubte, Ihre Männer befaßten sich in erster Linie mit den Juwelendieben und ihrem letzten Raubüberfall in der Avenue Victor-Hugo.«
»Das stimmt.«
»Es ist jetzt halb zwölf.«
Er trug eine Weste und eine flache Uhr an einer Kette in der Westentasche.
»Gestatten Sie mir, Sie zu fragen, wo Sie den ganzen Vormittag waren.«
Es war härter als bei dem Polizeipräfekten. Erstens war man hier am Quai des Orfevres und nicht an einem für Maigret fast anonymen Ort. In diesem Büro hatte er schon manches Mal in Hemdsärmeln gesessen, um mit Blutets Vorgängern zu schwatzen, die alte Kollegen und Freunde waren.
Blutet spielte außerdem seine Rolle schlecht.
»Ich war beim Zahnarzt.«
»Vermutlich bei einem in Ihrem Viertel.«
»Muß ich Ihnen darauf antworten, Herr Direktor? Bis jetzt habe ich, mit Ausnahme von gestern, zahlreiche Verhöre vorgenommen, bin aber keinem unterzogen worden. Ich wußte nicht, daß wir den Namen und die Adresse unseres Zahnarztes, unseres Arztes, vielleicht auch die unseres Schneiders melden müssen.«
»Ich verstehe Sie.«
»Wirklich?« sagte er ironisch.
»Ich kann mich nur allzu gut in Ihre Lage versetzen, glauben Sie es. Und die meine ist mir im Augenblick sehr peinlich. Ich führe nur die Anweisungen durch, die ich von meinem Vorgesetzten bekommen habe. Was würden Sie antworten, wenn ich von Ihnen verlangte, mir zu sagen, was Sie seit gestern nachmittag Stunde um Stunde getan haben?«
»Ich würde meinen Dienst quittieren.«
»Versuchen Sie, meine Lage zu verstehen. Sie wissen, welchen Lärm die Presse wegen dieser Juwelendiebstähle schlägt, die sich seit zwei Monaten mit der gleichen Dreistigkeit wiederholen…«
»Mehr als die Hälfte sind an der Côte d’Azur und in Deauville begangen worden, wofür wir nicht zuständig sind.«
»Aber durch die gleiche Bande. Jedenfalls mit den gleichen Methoden. Der letzte Raubüberfall hat gestern vormittag stattgefunden. Sind Sie am Tatort gewesen?«
»Nein.«
»Haben Sie die Berichte Ihrer Inspektoren gelesen?«
»Nein.«
»Sind Sie jemandem auf der Spur?«
»Ja.«
»Ohne Ergebnis?«
»Ich habe tatsächlich noch keinen Beweis, Ich warte auf eine Unvorsichtigkeit, einen Fehler, eine scheinbar bedeutungslose kleine Tatsache, woraufhin ich zuschlagen
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