Maigret zögert
eines davon war heute Morgen in der Post. Ich lege sie dann immer in sein Zimmer. «
Elektronik von morgen.
»Geht er oft aus?«
»Ich bin abends nicht hier. Aber ich glaube nicht.«
»Hat er Freunde?«
»Manchmal kommt ein Schulkamerad, der mit ihm Platten hört oder Experimente macht.« »Wie sind seine Beziehungen zu seinem Vater?«
Die Frage schien sie zu überraschen. Sie überlegte, entschuldigte sich lächelnd.
»Ich weiß nicht, was ich Ihnen antworten soll. Ich arbeite jetzt seit fünf Jahren für Monsieur Parendon. Es ist erst mein zweiter Arbeitsplatz in Paris.«
»Wo waren Sie vorher?«
»Bei einer Firma in der Rue Réaumur. Ich war dort unglücklich, weil mich die Arbeit nicht interessierte.«
»Wer hat Sie hier eingeführt?«
»Rene... Ich meine, Monsieur Tortu.«
»Kennen Sie ihn gut?«
»Wir aßen im selben Restaurant zu Abend, in der Rue Caulaincourt.«
»Sie wohnen am Montmartre?«
»Place Constantin-Pecqueur.«
»War Tortu Ihr kleiner Freund?«
»Erstens ist er fast einsneunzig groß, und zweitens hat es nichts zwischen uns gegeben... bis auf ein Mal.«
»Bis auf ein Mal?«
»Ich soll ehrlich zu Ihnen sein, nicht wahr? Eines Abends, kurz bevor ich diese Stelle antrat, sind wir zusammen ins Kino an der Place Clichy gegangen. Vorher waren wir im >Chez Maurices das ist unser Restaurant in der Rue Caulaincourt...«
»Essen Sie immer noch dort zu Abend?«
»Fast jeden Tag. Ich gehöre schon zum Mobiliar.«
»Und er?«
»Nicht mehr so oft, seit er verlobt ist.«
»Also, was war nach dem Kino?«
»Er wollte noch auf ein letztes Glas mit zu mir kommen. Wir hatten schon einiges getrunken, und ich war ein bisschen beschwipst, aber ich lehnte ab, denn es ist mir ein Greuel, einen Mann in meiner Wohnung zu haben... Ich ging lieber mit ihm in die Rue des Saules.«
»Und warum haben Sie ihn nicht wieder besucht?«
»Weil es nicht lief zwischen uns, wir spürten das beide. Und weil es im Bett nicht klappte. Wir sind gute Freunde geblieben.«
»Wird er bald heiraten?«
»Ich glaube nicht, dass er es damit eilig hat.«
»Ist seine Verlobte ebenfalls Sekretärin?«
»Sie ist die Assistentin von Doktor Parendon, dem Bruder meines Chefs.«
Maigret rauchte gemütlich seine Pfeife und versuchte, diese Welt, die er gestern noch nicht gekannt hatte und die sich in sein Leben gedrängt hatte, in sich aufzunehmen.
»Da wir beide gerade bei diesem Thema sind... ich muss Ihnen eine weitere indiskrete Frage stellen: Schlafen Sie mit Monsieur Parendon?«
Sie hatte ihre ganz eigene Art, sich zu geben. Mit ernstem Gesicht lauschte sie aufmerksam der Frage, dachte kurz nach und begann dann, wenn sie zur Antwort ansetzte, zu lächeln; ein verschmitztes und spontanes Lächeln, während ihre Augen hinter den Brillengläsern funkelten.
»In gewissem Sinne, ja. Wir lieben uns schon gelegentlich, aber nur so huschhusch. Das Wort >schlafen< trifft also nicht genau zu, denn wir haben noch nie nebeneinander im Bett gelegen.«
»Weiß Tortu davon?«
»Wir haben nie darüber gesprochen, aber er wird so etwas ahnen.«
»Warum?«
»Wenn Sie die Wohnung erst besser kennen, werden
Sie verstehen. Mal sehen, wieviel Leute gehen hier täglich ein und aus?... Monsieur und Madame Parendon plus die beiden Kinder, macht vier. Drei im Büro, macht sieben. Ferdinand, die Köchin, das Zimmermädchen und die Putzfrau, das bringt uns auf elf. Nicht dazugezählt habe ich den Masseur von Madame, der viermal in der Woche kommt, auch nicht ihre Schwestern und die Freundinnen von Mademoiselle. Die Wohnung mag noch so groß sein, man trifft sich am Ende doch immer wieder. Vor allem hier.«
»Warum hier?«
»Weil sich jeder aus diesem Büro mit Briefpapier, Briefmarken oder Büroklammern versorgt. Wenn Gus ein Stück Schnur braucht, kramt er in meinen Schubladen danach. Bambi braucht laufend Briefmarken oder Klebeband. Und Madame...«
Neugierig, was nun folgen würde, schaute er sie an.
»Sie ist überall. Sie geht oft aus, gewiss, aber man weiß nie, ob sie im Haus ist oder nicht. Sie werden bemerkt haben, dass alle Flure und die meisten Zimmer mit Teppichen ausgelegt sind. Man hört keine Schritte. Die Tür öffnet sich, und es taucht jemand vor einem auf, den man nicht erwartet hatte. Es kommt gelegentlich vor, dass sie plötzlich in meiner Tür steht und murmelt, als hätte sie sich geirrt: >Oh! Verzeihung...<«
»Ist sie neugierig?«
»Oder zerstreut. Es sei denn, es ist eine Manie von ihr.«
»Sie hat Sie nie
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