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Maigret zögert

Maigret zögert

Titel: Maigret zögert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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steht?«
    »Jemand wollte, dass ich in dieses Haus komme. Andernfalls hätte er sich nicht eines Briefpapiers bedient, das man nur noch in zwei Pariser Schreibwarengeschäften findet.«
    »Wenn er plant, ein Verbrechen zu begehen...«
    »Er sagt nicht, dass er ein Verbrechen begehen wird. Er kündigt mir eines an, gibt vor, er wisse nicht genau, wer der Täter sein wird.«
    Für einmal konnte sie ihn nicht ganz ernst nehmen.
    »Das Ganze ist ein Scherz, wirst schon sehen.«
    Er bezahlte. Draußen war es so mild, dass sie zu Fuß nach Hause gingen, wobei sie einen Umweg über die Ile Saint-Louis machten.
    In der Rue Saint-Antoine wurde Flieder verkauft,
    und so standen diesen Abend doch noch Blumen in der Wohnung.
    Am nächsten Morgen schien die Sonne wieder so hell, war die Luft wieder so klar, aber man schenkte dem schon nicht mehr so viel Beachtung. Er traf Lucas, Janvier und Lapointe zum kleinen Rapport und suchte gleich unter dem Stapel Post nach dem Brief.
    Er war sich nicht ganz sicher, ob er dabeisein würde, denn die Anzeige im Monde war gestern erst am späten Nachmittag erschienen und die im Figaro erst heute Morgen.
    »Da ist er!« rief er und schwenkte ihn in der Luft.
    Derselbe Umschlag, dieselben sorgfältig geschriebenen Druckbuchstaben, derselbe Briefbogen, derselbe säuberlich abgeschnittene Briefkopf.
    Aber die Anrede lautete nicht mehr Herr Kreiskommissar, und der Ton hatte sich geändert.
    Es war falsch von Ihnen, Monsieur Maigret, vor dem Empfang meines zweiten Briefes zu kommen. Jetzt haben alle den Braten gerochen, und es besteht die Gefahr, dass sich die Ereignisse überstürzen. Von diesem Augenblick an kann das Verbrechen jede Stunde begangen werden, und dies zum Teil durch Ihr Verschulden.
    Ich hatte Sie geduldiger, überlegter eingeschätzt. Sie meinen also in der Lage zu sein, den Geheimnissen eines Hauses an einem Nachmittag auf die Spur zu kommen?
    Sie sind leichtgläubiger und vielleicht auch eingebildeter, als ich dachte. Ich kann Ihnen nicht mehr behilflich sein. Mein einziger Rat an Sie ist, Ihre Untersuchung fortzusetzen und dabei niemandem, was man Ihnen auch sagen möge, Glauben zu schenken.
    Ich grüße Sie, trotz allem, mit vorzüglicher Hochachtung.
    Die drei Inspektoren vor ihm bemerkten seine Verlegenheit, und er gab ihnen nur ungern den Brief zu lesen. Die Ungeniertheit aber, mit der der anonyme Schreiber ihren Chef behandelte, machte sie noch verlegener als ihn.
    »Glauben Sie nicht, dass sich da ein Lausbub einen Scherz erlaubt?«
    »Das meinte meine Frau gestern Abend auch.«
    »Und Sie?«
    »Nein.«
    Er glaubte nicht an einen üblen Scherz. Dennoch lag in der Atmosphäre des Hauses in der Avenue Marigny nichts Dramatisches. Überall in der Wohnung herrschten klare, geordnete Verhältnisse. Der Hausdiener hatte ihn mit ruhiger Würde empfangen. Die Sekretärin mit dem komischen Namen war aufgeweckt und sympathisch. Und Maître Parendon hatte sich trotz seines sonderbaren Äußeren als ein eher fröhlicher Gastgeber erwiesen.
    Der Gedanke, es könne sich um einen Scherz handeln, war auch Parendon nicht gekommen. Er hatte gegen diese Einmischung in sein Privatleben nicht protestiert. Er hatte viel geredet, über verschiedene Themen, vor allem über den Artikel 64, aber verbarg sich dahinter nicht eine unbestimmte Angst?
    Beim Rapport erwähnte Maigret die Sache nicht. Er rechnete damit, dass seine Kollegen nur die Schultern zucken würden, wenn sie erführen, in was für eine wunderliche Geschichte er da hineingeraten war.
    »Nichts Neues bei Ihnen, Maigret?«
    »Janvier steht kurz vor der Verhaftung des Mörders der Postbeamtin. Wir können ihm die Tat fast hundertprozentig nachweisen, aber es ist besser, noch ein wenig zu warten, um herauszubekommen, ob er einen Komplizen hatte. Er lebt mit einer jungen schwangeren Frau zusammen.«
    Die gewöhnlichen, banalen Alltäglichkeiten. Eine Stunde später entfloh er dem Alltäglichen, indem er das Haus in der Avenue Marigny betrat, wo ihn der livrierte Pförtner durch die Glastür seiner Loge hindurch begrüßte.
    Ferdinand, der Hausdiener, fragte ihn, während er ihm den Hut abnahm:
    »Darf ich Sie Monsieur melden?«
    »Nein. Führen Sie mich in das Büro der Sekretärin.«
    Mademoiselle Vague! Jetzt fiel ihm der Name wieder ein. Sie saß in einem kleinen Raum, umgeben von grüngestrichenen Aktenschränken, und tippte auf einer elektrischen Schreibmaschine neuester Bauart.
    »Wollen Sie mich sprechen?« fragte sie, ohne sich

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