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Maigret zögert

Maigret zögert

Titel: Maigret zögert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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als seine einsachtzig. Man hörte ein trockenes Knacken. Das Mundstück von Maigrets Pfeife war unter dem Druck seiner Zähne zerbrochen. Der Pfeifenkopf fiel zu Boden, und Maigret bückte sich, hob ihn auf und steckte ihn ein.
    »Verzeihen Sie mir bitte... Ich bin einfach überwältigt.«
    Er kam wieder zu Atem, wischte sich die Augen und schielte nach der Cognacflasche, wagte aber nicht mehr, sie anzurühren.
    »Ungefähr zehn Minuten nach neun kam sie herein und brachte mir Dokumente, die ich überprüfen sollte. Ich weiß schon gar nicht mehr, wo ich sie hingelegt habe. Es war das Protokoll von der gestrigen Besprechung, mit Anmerkungen und Aktenzeichen. Ich habe sie sicher in ihrem Büro gelassen... Nein! Sehen Sie! Sie liegen auf meinem Schreibtisch...«
    Eine zitternde Hand hatte die Papiere zerknittert.
    »Sie hatte mich gebeten, sie ihr zurückzubringen, sobald ich damit fertig sei... Ich bin hingegangen...«
    »Um wieviel Uhr?«
    »Ich weiß nicht. Ich brauchte etwa dreißig Minuten dafür. Ich war so froh und zufrieden. Ich arbeite gern für sie. Ich schaue ins Büro... Ich sehe sie nicht... Dann, wie ich auf den Boden blicke...«
    Maigret goss ihm etwas Cognac in das Glas, das sicher Ferdinand gebracht hatte.
    »Atmete sie noch?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Die von der Staatsanwaltschaft sind da, Chef.«
    »Sie haben auch nichts gehört, Monsieur Tortu?« »Nichts.«
    »Waren Sie die ganze Zeit hier?«
    »Nein. Ich war etwa zehn Minuten bei Monsieur Parendon, um mit ihm über den Fall zu sprechen, den ich gestern im Justizpalast behandelt habe.«
    »Wann war das?«
    »Ich habe nicht auf die Uhr gesehen. Ungefähr halb zehn.«
    »Wie war er?«
    »Wie immer.«
    »Allein?«
    »Mademoiselle Vague war bei ihm.«
    »Ging sie hinaus, als Sie eintraten?«
    »Sie blieb nur noch einen Augenblick.«
    Maigret hätte auch gern einen Schluck Cognac getrunken, aber er wagte es nicht.
    Formalitäten warteten auf ihn. Er murrte darüber, aber eigentlich war er fast froh, denn sie zwangen ihn, seinen Alptraum abzuschütteln.
    Die Staatsanwaltschaft hatte Richter Daumas mit. der Untersuchung beauftragt. Maigret hatte schon mehrmals mit ihm zusammengearbeitet; ein sympathischer, etwas schüchterner Mensch, dessen einziger Fehler seine Pedanterie war. Er schätzte ihn um die Vierzig. Bei ihm war der Vertreter der Staatsanwaltschaft, De Claes, ein großer, sehr magerer blonder Mann, der wie aus dem Ei gepellt war und jahraus, jahrein ein Paar helle Handschuhe bei sich trug.
    »Was halten Sie davon, Maigret? Ich höre, Sie hatten einen Inspektor im Haus postiert? Haben Sie mit einem Unglück gerechnet?«
    Maigret hob die Schultern, machte eine vage Geste.
    »Es würde zu lange dauern, Ihnen das zu erklären.
    Aufgrund anonymer Briefe habe ich gestern und vorgestern praktisch meine ganze Zeit in diesem Haus zugebracht.«
    »Wurde in den Briefen das Opfer genannt?«
    »Nein, eben nicht. Deshalb war der Mord unmöglich zu verhindern. Man hätte hinter jeden der Bewohner einen Polizisten stellen, jedem auf Schritt und Tritt folgen müssen. Lapointe war die ganze Nacht unten. Heute Morgen kam Janvier ihn ablösen.«
    Janvier stand mit gesenktem Kopf in einer Ecke. Unten im Hof, wo der Chauffeur der Peruaner den Rolls wusch, hörte man das Wasser rauschen.
    »Übrigens, Janvier, wer hat dich benachrichtigt?«
    »Ferdinand. Er wusste, dass ich unten war. Ich hatte mit ihm gesprochen.«
    Im Flur waren schwere Schritte zu vernehmen. Es waren die Leute vom Erkennungsdienst, die mit ihren Apparaten kamen. Ein kleiner, rundlicher Mann, der überhaupt nicht zu ihnen passte, befand sich in ihrer Mitte und sah die im Raum versammelten Personen nacheinander fragend an, weil er nicht wusste, an wen er sich wenden sollte.
    »Doktor Martin...«, murmelte er schließlich. »Entschuldigen Sie, dass ich so spät komme, aber ich hatte gerade eine Patientin, und bis sie sich wieder angekleidet hatte...«
    Er sah die Tote, öffnete seine Tasche und kniete sich auf das Parkett. Von allen zeigte er sich am wenigsten berührt.
    »Sie ist tot, das steht fest.«
    »Ist der Tod sofort eingetreten?«
    »Sie hat bestimmt noch ein paar Sekunden gelebt, sagen wir dreißig oder vierzig Sekunden, aber mit der durchgeschnittenen Kehle konnte sie nicht mehr schreien.«
    Er deutete auf einen Gegenstand, der unter dem Tisch hervorlugte. Es war das spitze und sehr scharfe Radiermesser, das Maigret schon gestern aufgefallen war und das nun in der zähen Blutlache

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