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Maigrets Nacht an der Kreuzung

Maigrets Nacht an der Kreuzung

Titel: Maigrets Nacht an der Kreuzung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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ich. Es war gedankenlos von mir. Ich war wie von Sinnen, als ich mir vorstellte, Carl hätte ein Verbrechen begangen haben können. Am Abend vorher war er so durcheinander. Also habe ich ihn gedrängt …«
    »Hat er Ihnen nicht geschworen, daß er unschuldig sei?«
    »Doch.«
    »Haben Sie ihm nicht geglaubt?«
    »Zuerst nicht.«
    »Und jetzt?«
    Langsam und jede einzelne Silbe betonend, antwortete sie:
    »Obwohl Carl viel durchgemacht hat, glaube ich nicht, daß er von sich aus zu einer niederträchtigen Tat in der Lage wäre. Aber hören Sie auf mich, Kommissar. Er wird sicherlich bald zurückkehren. Und er wird Gott weiß was denken, wenn er Sie hier antrifft.«
    Sie lächelte, ein trotz allem kokettes, wenn nicht fast provozierendes Lächeln.
    »Sie werden ihn verteidigen, nicht wahr? Sie werden ihm da heraushelfen, ja? Ich wäre Ihnen so dankbar!«
    Sie reichte ihm die Hand, und wieder klaffte ihr Morgenrock durch die Bewegung ein wenig auf.
    »Auf Wiedersehen, Kommissar.«
    Linkisch nahm er seinen Hut vom Boden und ging hinaus.
    »Können Sie die Tür wieder abschließen, damit er nichts merkt?«
    Wenige Augenblicke später stieg Maigret die Treppe hinab, durchquerte den so uneinheitlich möblierten S a lon und trat auf die Terrasse hinaus, die im nun schon warmen Sonnenlicht lag.
    Autos brummten auf der Straße. Lautlos schloß er das Tor hinter sich.
    Als er an der Tankstelle vorüberkam, rief jemand mit spöttischer Stimme:
    »Am hellen Morgen! Sie haben wohl vor gar nichts Angst, was?«
    Und typisch vorstädtisch fügte Monsieur Oscar jovial hinzu:
    »Also kommen Sie schon herein und trinken Sie was. Diese Herren von der Staatsanwaltschaft sind bereits wieder weg. Eine Minute werden Sie doch Zeit haben!«
    Der Kommissar zögerte und verzog das Gesicht, weil ein Mechaniker seine Feile greinend über einen im Schraubstock steckenden Stahlbolzen gleiten ließ.
    »Zehn Liter!« rief ein Autofahrer, der vor einer Zapfsäule stand. »Ist niemand da?«
    Monsieur Michonnet stand noch unrasiert und ohne Hemdkragen in seinem Vorgärtchen und beobachtete über sein Tor hinweg die Straße.
    »Na endlich!« rief Monsieur Oscar, als Maigret sich anschickte, ihm zu folgen. »Ich persönlich mag unkomplizierte Leute! Die sind anders als der Aristokrat von den Drei Witwen!«
    5
    Das verlassene Auto
    H
    ier entlang, Kommissar! Es ist nicht gerade luxuriös bei uns, was? Wir sind eben nur Arbeiter!«
    Er öffnete die Tür in das Haus, das hinter der Tankstelle stand, und sie traten ebenerdig in eine Küche, die wohl auch als Eßzimmer diente, denn auf dem Tisch stand noch das Frühstücksgeschirr.
    Eine Frau in einem rosafarbenen gesteppten Morgenmantel, die gerade einen kupfernen Wasserhahn a b rieb, hielt in ihrer Arbeit inne.
    »Komm her, mein Täubchen, ich will dir Kommissar Maigret vorstellen! Meine Frau, Kommissar. Sie könnte sich durchaus ein Dienstmädchen leisten, aber dann hätte sie selbst nichts mehr zu tun und würde sich langwe i len.«
    Sie war weder hübsch noch häßlich und etwa dreißig Jahre alt. Ihr Morgenrock war gewöhnlich und keine s wegs verführerisch. Unbeholfen stand sie vor Maigret und starrte auf ihren Mann.
    »Geh, bring uns einen Aperitif. Einen Export-Cassis, Kommissar? Möchten Sie, daß wir in den Salon gehen? Nein? Um so besser. Ich bin immer für Offenheit … Stimmt’s nicht, mein Täubchen? Nein, nicht diese Gl ä ser. Die großen!«
    Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück. Er trug keine Weste über seinem rosafarbenen Hemd, und er schob seine Hände unter den Gürtel über seinem prallen Bauch.
    »Sehr reizvoll, die Dame von den Drei Witwen, was? Man darf das nicht zu laut sagen vor meiner Frau. Aber, unter uns, sie ist ein hübsches Geschenk für einen Mann. Nur ist da leider ihr Bruder … Wenn er ihr Br u der ist! Ein Ritter von der traurigen Gestalt, der seine Zeit damit verbringt, sie zu bewachen. Man munkelt hier sogar, daß er sie einschließt, wenn er für eine Stunde das Haus verläßt, und daß er das auch jede Nacht tut. Was meinen Sie, benehmen die sich etwa wie Geschwister? Auf Ihr Wohl! Nun, mein Täubchen, geh los und sag Jojo, er soll nicht vergessen, den Lardy-Lastwagen zu reparieren.«
    Maigret wandte sich zum Fenster um, denn er hörte einen Motor brummen, der ihn an das Geräusch eines 5 CV erinnerte.
    »Er ist es nicht, Kommissar. Ich kann Ihnen von hier aus mit geschlossenen Augen genau sagen, was auf der Straße vor sich geht. Dieses Auto jetzt, das gehört

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