Maigrets Nacht an der Kreuzung
dem Ingenieur vom Elektrizitätswerk. Warten Sie darauf, daß unser Aristokrat zurückkehrt?«
Ein Wecker auf einem Regal zeigte elf Uhr an. Durch eine geöffnete Tür sah Maigret einen Flur, in dem ein Wandtelefon hing.
»Sie trinken ja nicht! Auf Ihre Untersuchung! Finden Sie diese ganze Geschichte nicht zum Lachen? Die Idee, die Wagen zu vertauschen, und vor allem, diesem Kna u ser von gegenüber seinen Sechszylinder zu klauen! Denn er ist ein Knauser! Ich schwöre Ihnen, mit dem als Nachbar sind wir bedient! Ich finde es spaßig, wie Sie seit gestern hier herumstreifen, und vor allem, wie Sie die Leute schief ansehen, als hätten Sie sie allesamt im Verdacht. Wissen Sie, der Vetter meiner Frau war ebe n falls bei der Polizei … Glücksspieldezernat. Er war jeden Nachmittag auf dem Rennplatz, und das Schönste war, daß er mir Tips lieferte. Auf Ihr Wohl! … Nun, mein Täubchen, alles erledigt?«
»Ja.«
Die junge Frau war hereingekommen und überlegte einen Augenblick, wie sie sich verhalten sollte.
»Komm, trink mit uns. Der Kommissar ist nicht so vornehm, daß er es ablehnen würde, mit dir anzustoßen, bloß weil du Lockenwickler im Haar hast.«
»Gestatten Sie, daß ich kurz telefoniere?« unterbrach Maigret.
»Aber bitte! Drehen Sie die Kurbel. Wenn Sie Paris wollen, wird man Sie sofort verbinden.«
Zuerst suchte er im Telefonbuch die Nummer der Firma Dumas & Fils heraus, des Stoffabrikanten, bei dem Carl Andersen sich Geld abholen wollte.
Das Gespräch war kurz. Der Kassierer am anderen Ende der Leitung bestätigte, daß Andersen an diesem Tag zweitausend Francs erhalten sollte, fügte jedoch hi n zu, daß er in der Rue du 4 -Septembre noch nicht aufg e taucht sei.
Als Maigret in die Küche zurückkam, rieb sich Monsieur Oscar genüßlich die Hände.
»Hören Sie! Ich muß Ihnen gestehen, es macht mir ungeheuren Spaß! Ich kenne nämlich die Musik! … An der Kreuzung geschieht ein Verbrechen. Außer unseren drei Familien wohnt hier kein Mensch, folglich werden wir alle drei verdächtigt. Aber ja doch! Tun Sie nicht so harmlos! Ich habe gemerkt, daß Sie mich schief angesehen haben und nur widerwillig auf ein Gläschen herei n gekommen sind! … Drei Häuser. Der Versicherung s agent macht einen viel zu dummen Eindruck, als daß ihm ein Verbrechen zuzutrauen wäre. Der Aristokrat ist ein Herr, aus dem man nicht klug wird. Bleib also nur noch ich, ein armer Teufel, ein Arbeiter, der es zur Sel b ständigkeit gebracht hat, der aber keine schönen Worte zu machen weiß … Ein ehemaliger Boxer! Wenn Sie sich im Zentralarchiv nach mir erkundigen, wird man Ihnen mitteilen, daß ich zwei- oder dreimal bei einer Razzia festgenommen wurde, weil ich, hauptsächlich zu meiner Boxerzeit, gerne auf ein Tänzchen in die Rue du Lappe gegangen bin. Ein andermal habe ich einem Pol i zisten, der mir Scherereien machen wollte, die Zähne eingeschlagen … Auf Ihr Wohl, Kommissar!«
»Danke.«
»Sie trinken doch noch einen? Ein Export-Cassis hat noch keinem geschadet! Verstehen Sie, ich spiele gern mit offenen Karten. Es gefällt mir gar nicht, daß Sie um meine Tankstelle herumstreichen, als wollten Sie mir heimlich auf die Finger sehen. Stimmt’s nicht, mein Täubchen? Habe ich nicht gestern abend zu dir gesagt: ›Der Kommissar ist da! Soll er doch hereinkommen und alles durchsuchen, die Wohnung, die Werkstatt. Und dann soll er zugeben, daß ich ein grundehrlicher Kerl bin!‹ … Was mich an dieser Geschichte begeistert, ist die Sache mit den Autos. Denn im Grunde geht es nur darum …«
Halb zwölf! Maigret erhob sich.
»Ich muß noch einmal telefonieren.«
Mit sorgenvollem Gesicht verlangte er die Kriminalpolizei und beauftragte einen Inspektor, allen Gendarmerien und Grenzübergängen die Beschreibung von Andersens 5 CV durchzugeben.
Monsieur Oscar hatte vier Aperitifs getrunken, seine Wangen hatten sich noch mehr gerötet, und seine A u gen glänzten.
»Ich weiß genau, Sie werden es ablehnen, mit uns ein Kalbsragout zu Mittag zu essen. Vor allem, weil hier in der Küche gegessen wird! Schön! Da kommt Groslumeau mit seinem Lastwagen von den Markthallen z u rück … Gestatten Sie, Kommissar?«
Er ging hinaus. Maigret blieb mit der jungen Frau zurück, die mit einem Holzlöffel in einem Topf rührte.
»Ihr Mann ist ein lebenslustiger Mensch.«
»Ja, er ist spaßig.«
»Und gelegentlich auch brutal, habe ich recht?«
»Er mag es nicht, wenn man ihm widerspricht. Aber er ist ein anständiger
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