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Maigrets Nacht an der Kreuzung

Maigrets Nacht an der Kreuzung

Titel: Maigrets Nacht an der Kreuzung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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herauf:
    »Chef!«
    »Was ist?«
    »Carl Andersen … Er ist nicht tot! Wollen Sie kommen?«
    Maigret wandte sich nach Else um, die auf der Kante des Diwans saß. Sie hatte die Ellbogen auf die Knie g e stemmt und das Kinn in beide Hände gestützt und blickte starr und mit zusammengepreßten Zähnen vor sich hin, während ihr Körper von einem krampfartigen Zittern geschüttelt wurde.
    7
    Die zwei Wunden
    C
    arl Andersen wurde in sein Zimmer gebracht. Ein Inspektor folgte mit der Lampe aus dem Erdgeschoß. Der Verwundete röchelte nicht, bewegte sich nicht. Aber als er auf seinem Bett lag und Maigret sich über ihn beugte, bemerkte er, daß er die Lider halb g e schlossen hatte.
    Andersen erkannte ihn, schien sich etwas zu beruhigen, murmelte, während er seine Hand nach der des Kommissars ausstreckte.
    »Else?«
    Else stand angstvoll abwartend auf der Schwelle seines Zimmers, ihre Augen waren umschattet.
    Es war ziemlich schauerlich. Carl hatte sein schwarzes Monokel verloren, und während das halbgeöffnete g e sunde Auge erregt zuckte, behielt das Glasauge seine künstliche Starre.
    Das Petroleumlicht machte alles noch unheimlicher. Auf den Kieswegen knirschten Fußtritte von Polizisten, die den Park durchsuchten.
    Else, völlig bewegungsunfähig, wagte sich ihrem Bruder fast nicht zu nähern, als Maigret sie dazu aufforde r te.
    »Ich glaube, es hat ihn böse erwischt«, sagte Lucas halblaut.
    Sie mußte es gehört haben. Sie blickte ihn an, zögerte, noch weiter auf Carl zuzugehen, der sie mit den Augen verschlang und sich in seinem Bett aufzurichten ve r suchte.
    Da brach sie in Schluchzen aus, rannte aus dem Zimmer und lief in ihr eigenes zurück, wo sie sich bebend auf den Diwan warf.
    Maigret gab dem Inspektor ein Zeichen, sie zu bewachen, und kümmerte sich dann um den Verwundeten. Mit den Handgriffen eines Mannes, dem solche Vorfälle vertraut sind, zog er ihm Jackett und Weste aus.
    »Machen Sie sich keine Sorgen, der Arzt wird bald d a sein. Else ist in ihrem Zimmer.«
    Andersen schwieg, lag da wie niedergeschmettert von einer mysteriösen Furcht. Sein Blick wanderte umher, als wollte er einem Rätsel auf die Spur kommen, ein b e deutendes Geheimnis lüften.
    »Ich werde Sie später vernehmen. Aber …«
    Der Kommissar hatte sich über den entblößten Oberkörper des Dänen gebeugt. Er runzelte die Stirn.
    »Sie haben zwei Kugeln abbekommen. Diese Wunde im Rücken ist aber nicht mehr frisch.«
    Sie sah entsetzlich aus! Zehn Quadratzentimeter Haut waren zerfetzt. Das Fleisch war buchstäblich in Stücke gerissen, verbrannt, geschwollen und blutverkrustet. Diese Wunde blutete nicht mehr, was bewies, daß sie schon mehrere Stunden alt war.
    Dagegen hatte eine andere Kugel erst vor kurzer Zeit das linke Schulterblatt zerschmettert, und als Maigret die Wunde auswusch, fiel das plattgedrückte Geschoß heraus. Er hob es auf.
    Es war keine Revolver-, sondern eine Gewehrkugel, eine von der Art, mit der auch Madame Goldberg getötet worden war.
    »Wo ist Else«, stammelte der Verletzte, dem es gelang, seinen Schmerz zu unterdrücken.
    »In ihrem Zimmer. Bewegen Sie sich nicht. Haben Sie den Täter vorhin gesehen?«
    »Nein.«
    »Und den anderen? Wo ist das passiert?«
    Andersen hob die Stirn, öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch dann schwieg er erschöpft und gab mit einer kaum angedeuteten Bewegung seines linken Armes zu verstehen, daß er nicht mehr zu sprechen in der Lage war.
     
    »Ihre Meinung, Doktor?«
    Der Aufenthalt in diesem Halbdunkel ging einem auf die Nerven. Es gab im ganzen Haus nur zwei Petroleumlampen; eine stand jetzt im Zimmer des Verwundeten, die andere in Elses Zimmer.
    Unten hatte man eine Kerze angezündet, die kaum ein Viertel des Salons ausleuchtete.
    »Wenn es keine unvorhersehbaren Komplikationen gibt, wird er darüber hinwegkommen. Die schwerere Verletzung ist die erste. Sie muß ihm am frühen Nachmittag oder späten Vormittag beigebracht worden sein. Die Kugel stammt aus einem Browning und traf ihn aus nächster Nähe in den Rücken. Aus allernächster Nähe! Womöglich hat man ihm den Lauf der Waffe sogar d i rekt in den Rücken gedrückt. Das Opfer machte eine falsche Bewegung … Der Schuß nahm eine andere Richtung und traf praktisch nur die Rippen. Die Que t schungen an Schultern und Armen sowie Schrammen an Händen und Knien hat er sich wohl zum selben Zeitpunkt zugezogen.«
    »Und die andere Kugel?«
    »Das Schulterblatt ist zerschmettert. Gleich morgen muß ein

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