Maigrets Nacht an der Kreuzung
eines 4 CV war mit Wertpapieren vollgestopft. Sie waren mindestens dreihunderttausend Francs wert.
»Stammt das aus dem Einbruch in die Diskontbank?«
»Kann schon sein.«
»Und diese alten Münzen?«
»Weiß nicht.«
Die Auswahl war größer als im Lager eines Antiquit ä tenhändlers. Es gab von allem etwas: Perlen, Banknoten, amerikanische Geldscheine und behördliche Stempel, die gewiß dazu dienten, falsche Pässe herzustellen.
Maigret konnte nicht alles auseinandernehmen. Aber als er dann noch aus den zerschlissenen Polstern einer Limousine Silbergulden zutage gefördert hatte, schien ihm der Beweis erbracht, daß alles in dieser Werkstatt Diebesgut war.
Auf der Straße fuhr ein Lastwagen ohne zu stoppen vorbei. Eine Viertelstunde später rollte ein weiterer vo r über, und Maigret zog die Brauen zusammen.
Er begann die Methode dieses Unternehmens zu verstehen. Die Werkstatt lag am Rande der Hauptstraße, fünfzig Kilometer von Paris entfernt und unweit einiger großer Provinzstädte wie Chartres, Orléans, Le Mans, Châteaudun.
Abgesehen vom Haus der Drei Witwen und der Michonnet-Villa gab es keine Nachbarn.
Und was konnten die schon sehen? Tausend Autos fuhren täglich vorbei. Mindestens hundert davon hielten vor den Zapfsäulen an. Einige wurden wegen einer Reparatur in die Werkstatt gefahren. Man verkaufte oder wechselte Reifen, auch ganze Räder. Ölkanister, Benzi n fässer gingen von Hand zu Hand.
Ein Detail war ganz besonders wichtig: Jeden Abend fuhren schwere Laster, die mit Gemüse für die Mark t hallen beladen waren, nach Paris. Spät in der Nacht oder am Morgen kamen sie leer zurück.
Leer? Waren nicht sie es, die in Körben und Gemüsekisten Hehlerware herbrachten?
Es konnte ein regulärer, täglicher Fahrdienst bestehen. Ein einziger Reifen, jener, der das Kokain enthielt, machte bereits die Ausmaße dieses Handels deutlich, denn das Rauschgift stellte einen Wert von mehr als zweihunderttausend Francs dar.
Und diente die Werkstatt überdies nicht auch noch zum Umfrisieren gestohlener Autos?
Keine Zeugen! Monsieur Oscar unter seiner Haustür, beide Hände in den Taschen! Mechaniker hantieren mit Schraubenschlüsseln oder Schneidbrennern! Und die fünf Zapfsäulen, rot und weiß gestrichen, geben das Deckmäntelchen der Wohlanständigkeit ab.
Und halten hier nicht wie alle anderen auch der Metzger und der Bäcker und die Touristen?
In der Ferne ertönte ein Glockenschlag. Maigret blickte auf seine Uhr. Es war halb vier.
»Wer ist dein Chef?« fragte er seinen Gefangenen, ohne ihn anzusehen.
Der andere lachte nur still vor sich hin.
»Du weißt genau, daß du früher oder später reden wirst. Ist es Monsieur Oscar? Wie ist sein richtiger Name?«
»Oscar.«
Der Mechaniker brach fast in Lachen aus.
»War Monsieur Goldberg hier?«
»Wer ist das?«
»Das weißt du besser als ich! Der Belgier, der umgebracht worden ist!«
»Ach wirklich?«
»Wer hat den Dänen auf der Straße nach Compiègne angeschossen?«
»Man hat jemanden angeschossen?«
Es war kein Zweifel möglich. Maigrets erster Eindruck bestätigte sich. Er hatte es hier mit einer organ i sierten Bande von Berufsverbrechern zu tun.
Und er erhielt noch einen weiteren Beweis. Auf der Straße erklang anwachsendes Motorengeräusch, dann hielt ein Wagen mit kreischenden Bremsen vor dem Blechtor und hupte laut.
Maigret stürzte hinaus. Aber er hatte die Tür noch nicht geöffnet, da fuhr das Auto schon mit einer solchen Geschwindigkeit davon, daß er nicht einmal mehr das Modell erkennen konnte.
Mit geballten Fäusten ging er auf den Mechaniker zu.
»Wie hast du ihn gewarnt?«
»Ich?«
Der Arbeiter zeigte grinsend seine gefesselten Handgelenke vor.
»Rede!«
»Der Kumpel muß gerochen haben, daß hier etwas nicht stimmt.«
Maigret wollte sich nicht damit abfinden. Er packte das Feldbett und kippte es brutal um, so daß Jojo auf den Boden stürzte. Möglicherweise gab es einen Schalter, durch den man draußen ein Warnsignal auslösen konnte.
Er schob das Bett hin und her, aber er fand nichts. Er ließ den Mechaniker auf dem Boden liegen und ging hinaus. Die fünf Zapfsäulen waren wie üblich beleuc h tet.
Er wurde allmählich wütend.
»Gibt es kein Telefon in der Werkstatt?«
»Suchen Sie doch!«
»Ist dir klar, daß du am Ende doch reden wirst?«
»Was Sie nicht sagen!«
Aus diesem Kerl war nichts herauszubringen, er war genau der Typ des selbstbewußten organisierten Ba n denmitglieds. Eine
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