Maigrets Nacht an der Kreuzung
Feldern auf und zog sich einen Meter über dem Erdboden wellenartig dahin. Irgendwo von Arpajon her hörte man immer deutlicher das Brummen und Scheppern eines Wagens. Fünf Minuten später hielt ein Lastwagen vor der Tankstelle und hupte.
Eine kleine Tür öffnete sich in dem Wellblechtor der Werkstatt und gab den Blick auf eine brennende Glü h birne im Innern frei.
»Zwanzig Liter!«
Der verschlafene Mechaniker betätigte die Pumpe, ohne daß der Fahrer von seinem hohen Sitz herunterstieg. Der Kommissar trat heran. Er hatte die Hände in den Taschen und die Pfeife im Mund.
»Ist Monsieur Oscar noch nicht zurück?«
»Ach, Sie sind hier? Nein, wenn er nach Paris fährt, kommt er erst am nächsten Morgen wieder.«
Nach einem Zögern sprach er weiter.
»Hör mal, Arthur, du tätest gut daran, dein Ersatzrad mitzunehmen. Es ist fertig.«
Der Mechaniker holte einen Reifen samt Felge aus der Reparaturwerkstatt und rollte ihn zum hinteren Teil des Lastautos, wo er ihn unter großer Anstrengung bef e stigte.
Der Lastwagen fuhr davon. Sein rotes Rücklicht erlosch in der Ferne. Der Mechaniker gähnte und seufzte:
»Sind Sie immer noch auf der Suche nach dem Mörder? Um diese Zeit? Also wenn man mich pennen ließe, ich schwöre Ihnen, nichts auf der Welt könnte mich dann stören!«
Zwei Glockenschläge. Ein hellerleuchteter Zug weit draußen am Horizont.
»Kommen Sie nun herein oder nicht?«
Der Mann streckte sich. Er hatte es eilig, sich wieder hinzulegen.
Maigret trat ein, betrachtete die gekalkten Wände, wo an Nägeln rote Gummischläuche und Reifen aller Art hingen, die meisten in schlechtem Zustand.
»Sagen Sie mir, was wird er mit dem Ersatzrad anfangen, das Sie ihm gegeben haben?«
»Aber … es auf seinen Wagen montieren, was sonst?«
»Glauben Sie? Dann wird sein Lastwagen aber komisch fahren, denn dieses Rad hatte einen anderen Durchmesser als die übrigen.«
Der Blick des Mannes wurde unruhig.
»Vielleicht habe ich mich geirrt … Moment, sollte ich ihm versehentlich das Rad für Vater Mathieus Lieferwagen gegeben haben?«
Ein Schuß krachte. Er kam aus Maigrets Revolver, der auf einen der an der Wand hängenden Gummischläuche gerichtet war. Der Schlauch sackte in sich zusammen, während durch das entstandende Loch kleine weiße P a piertüten fielen.
»Rühr dich nicht, Kleiner!«
Denn der Mechaniker stand da, als wollte er sich gleich auf den Kommissar stürzen.
»Vorsicht! Ich schieße!«
»Was wollen Sie von mir?«
»Hände hoch! Los, schneller!«
Und er trat hastig vor Jojo hin, tastete seine Taschen ab, konfiszierte einen mit sechs Kugeln geladenen R e volver.
»Leg dich auf dein Feldbett!«
Maigret stieß mit dem Fuß die Tür zu. Als er das sommersprossige Gesicht des Mechanikers musterte, wußte er, daß dieser sich noch nicht ganz geschlagen gab.
»Leg dich hin!«
Er blickte sich nach einem Strick um, fand aber nur ein Stück aufgerolltes Elektrokabel.
»Deine Hände!«
Als Maigret seinen Revolver aus der Hand legen mußte, schnappte der Mechaniker danach, aber Maigrets Faust traf ihn mitten ins Gesicht. Seine Nase blutete. Seine Lippen schwollen an. Der Mann schrie empört auf. Seine Hände waren gefesselt und kurz darauf auch seine Füße.
»Wie alt bist du?«
»Einundzwanzig.«
»Und woher kommst du?«
Schweigen. Aber Maigret brauchte ihm nur seine Faust zu zeigen.
»Aus der Strafanstalt in Montpellier.«
»Du hast früh angefangen! Du weißt, was diese Tüten enthalten?«
»Rauschgift.«
Die Stimme klang haßerfüllt. Der Mechaniker spannte seine Muskeln an in der Hoffnung, das Kabel lockern zu können.
»Was war in dem Ersatzrad?«
»Keine Ahnung.«
»Warum hast du es dann diesem Wagen mitgegeben und nicht einem anderen?«
»Ich antworte nicht mehr.«
»Um so schlimmer für dich!«
Fünf Schläuche wurden einer nach dem anderen zerschossen, aber sie enthielten nicht alle Kokain. In einem blieb etwas in einem langen Riß hängen, und Maigret entdeckte ein Silberbesteck mit eingravierter Fürstenkrone. In einem anderen Schlauch waren Spitzen und antiker Schmuck.
In der Werkstatt standen zehn Autos. Ein einziges sprang an, nachdem Maigret es nacheinander bei allen probiert hatte. Und dann machte er sich mit Hilfe eines Schraubenschlüssels und gelegentlich auch mit einem Hammer daran, die Motoren auseinanderzunehmen und in den Benzintanks herumzustochern.
Der Mechaniker sah ihm grinsend zu.
»An Ware fehlt’s nicht, was?« höhnte er.
Der Tank
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