Maigrets Nacht an der Kreuzung
werde.«
Und von nun an behielt er seinen Revolver in der Hand.
Als sie an Carls Tür vorbeikamen, fragte sie:
»Glauben Sie, er kommt durch? Er ist von zwei Kugeln getroffen worden, nicht wahr?«
Er beobachtete sie, und es wäre ihm in diesem Augenblick schwergefallen, ein Urteil über sie zu fällen. Dennoch glaubte er in ihrem Gesicht und in ihrer Stimme eine Mischung aus Mitleid und Groll zu erke n nen.
»Er hat mit Schuld«, sagte sie, wie um ihr Gewissen zu beruhigen. »Wollen wir sehen, ob noch etwas zu e s sen im Haus ist …«
Maigret folgte ihr in die Küche, wo sie in den Schränken stöberte und schließlich eine Büchse Langusten herausholte.
»Wollen Sie sie mir nicht aufmachen? Na los schon! Ich verspreche Ihnen, nicht davonzulaufen!«
Es herrschte eine seltsame Herzlichkeit zwischen ihnen, die Maigret durchaus gefiel. Ihr Verhältnis hatte sogar eine gewisse Intimität, die nicht ganz ohne Hi n tergedanken war.
Else fand Gefallen an diesem sanften dicken Mann, der sie besiegt hatte, dem sie aber, wie ihr bewußt war, durch ihren Schneid imponierte. Er dagegen ließ sich vielleicht ein wenig zu sehr von dieser so außergewöh n lichen Verbundenheit hinreißen.
»Hier … Essen Sie schnell!«
»Geht es schon los?«
»Keine Ahnung.«
»Unter uns, was haben Sie eigentlich herausgefunden?«
»Das spielt jetzt keine Rolle.«
»Nehmen Sie diesen Dummkopf Michonnet auch mit? Er hat mir die meiste Angst eingejagt. Vorhin im Brunnen habe ich wirklich geglaubt, ich würde es nicht überleben. Er hat mich wie ein Irrer angesehen und mir den Hals, so fest er konnte, zugedrückt.«
»Waren Sie seine Geliebte?«
Sie zuckte die Schultern wie ein Mädchen, für das so etwas nun wirklich nicht von Bedeutung ist.
»Und Monsieur Oscar?« drängte er weiter.
»Was soll mit dem sein?«
»Auch ein Liebhaber?«
»Versuchen Sie doch, allein darauf zu kommen. Ich weiß genau, was mich erwartet. Ich werde in Dänemark fünf Jahre absitzen müssen, weil ich an einem bewaffneten Raubüberfall beteiligt war und Widerstand gegen die Polizei leistete. Dabei habe ich auch diese Kugel a b bekommen.«
Sie deutete auf ihre rechte Brust.
»Und was das übrige betrifft … sollen die hier sehen, wie sie zurechtkommen.«
»Wo haben Sie Isaac Goldberg kennengelernt?«
»Darauf gehe ich nicht ein.«
»Sie werden wohl reden müssen!«
»Möchte wissen, wie Sie mich dazu bringen wollen.«
Während sie sprach, aß sie ihre Languste, ohne Brot, denn es war keines mehr da. Im Salon hörte man die Schritte eines Polizisten, der auf und ab ging und den in einem Sessel zusammengesunkenen Michonnet bewac h te.
Zwei Wagen hielten zur gleichen Zeit vor dem Tor an. Es wurde ihnen geöffnet, die Autos fuhren durch den Park um das Gebäude herum zur Terrasse, und blieben dort stehen.
Im ersten Wagen saßen ein Inspektor, zwei Gendarmen sowie Monsieur Oscar und dessen Frau.
Beim anderen handelte es sich um das Pariser Taxi, in dem ein Inspektor eine dritte Person bewachte.
Allen hatte man Handschellen angelegt, aber keiner schien darüber betroffen zu sein, denn bis auf die Frau des Werkstattbesitzers, die gerötete Augen hatte, machten sie alle fröhliche Gesichter.
Maigret führte Else in den Salon, wo Michonnet gleich wieder versuchte, sich auf sie zu stürzen.
Die Festgenommenen wurden hereingebracht. Monsieur Oscar benahm sich fast so zwanglos wie ein harmloser Bürger, aber als er Else und den Versicherungsage n ten sah, verzog er das Gesicht. Der andere, der wie ein Italiener aussah, spielte sich auf:
»Das ist ja ein kleines Familientreffen! Soll hier eine Hochzeit oder eine Testamentseröffnung stattfinden?«
Der Inspektor erklärte Maigret:
»Man kann von Glück sagen, daß wir sie ohne Schießerei geschnappt haben. In Etampes haben wir zwei Gendarmen zusteigen lassen, die alarmiert waren und den Wagen gesehen hatten, ihn aber nicht stoppen konnten. Fünfzig Kilometer vor Orléans platzte am Fluchtauto ein Reifen. Sie hielten mitten auf der Straße an und richteten ihre Revolver auf uns. Der Werkstat t besitzer kam dann als erster zur Vernunft. Es hätte sonst einen regelrechten Kampf gegeben.
Wir gingen auf sie zu. Der Italiener gab zwei Schüsse aus seiner Browning ab, ohne uns aber zu treffen …«
»Hören Sie mal!« fiel Monsieur Oscar dazwischen. »In meinem Haus habe ich Ihnen auch zu trinken angeboten! Ich möchte Ihnen mitteilen, daß man durstig wird …«
Maigret hatte den gefesselten Mechaniker
Weitere Kostenlose Bücher