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Maigrets Nacht an der Kreuzung

Maigrets Nacht an der Kreuzung

Titel: Maigrets Nacht an der Kreuzung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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aus der Werkstatt holen lassen. Der sah sich um, als wollte er sich vergewissern, daß auch alle seine Freunde da waren.
    »Stellen Sie sich alle an die Wand!« befahl der Kommissar. »Auf die andere Seite, Michonnet! Es hat keinen Zweck zu versuchen, an Else heranzukommen!«
    Der Versicherungsagent warf ihm einen giftigen Blick zu und stellte sich ans äußerste Ende der Reihe. Die Schnurrbartspitzen hingen herab, und seine Augen w a ren von den Fausthieben angeschwollen.
    Neben ihm stand der Mechaniker, dessen Handgelenke immer noch mit dem Elektrokabel gefesselt waren. Dann kam die Frau des Werkstattbesitzers, eine magere, tiefbetrübte Gestalt. Dann der Werkstattbesitzer selbst, dem es sehr unangenehm war, daß er seine Hände nicht in die Taschen seiner zu weiten Hose stecken konnte. Schließlich noch Else und der Italiener, der sich sehr schön vorkommen mußte. Auf seinem Handrücken war eine nackte Frau eintätowiert.
    Maigret musterte sie langsam der Reihe nach, und man sah ihm eine gewisse Befriedigung an. Er stopfte eine Pfeife, wandte sich zur Terrasse und befahl, während er die Glastür öffnete:
    »Lucas, notiert von jedem den Namen, Vornamen, Beruf und Wohnsitz. Ruft mich, wenn ihr fertig seid.«
    Alle sechs standen sie da, und Lucas fragte, auf Else deutend:
    »Sollen wir ihr auch Handschellen anlegen?«
    »Warum nicht?«
    Da stieß sie mit ehrlicher Entrüstung aus:
    »Das ist gemein, Kommissar!«
    Der Park war ganz in Sonnenlicht getaucht. Tausende von Vögeln zwitscherten. Der Hahn auf dem Turm einer kleinen Dorfkirche am Horizont funkelte, als wäre er aus purem Gold.
    10
    Die Ermittlung des Mörders
    A
    ls Maigret in den Salon zurückkam, durch dessen offenstehende Glastüren die Frühlingsluft hereindrang, beendete Lucas gerade seine Notizen über die persönlichen Daten der Festgenommenen. Die Atmosphäre war der einer Kasernenstube nicht unäh n lich.
    Die Gefangenen standen wieder an einer Wand, allerdings in einer weniger mustergültigen Ordnung. Mind e stens drei von ihnen ließen sich in keiner Weise von der Polizei beeindrucken: Monsieur Oscar, sein Mechaniker Jojo und der Italiener Guido Ferrari.
    Monsieur Oscar diktierte Lucas:
    »Beruf: Automechaniker. Fügen Sie hinzu: ehemaliger Berufsboxer, Lizenz 1920 . 1922 Pariser Meister im Mi t telgewicht.«
    Zwei weitere Männer wurden von Polizisten hereingebracht. Es waren Arbeiter aus der Werkstatt, die wie jeden Morgen zur Arbeit gekommen waren. Man stellte sie zu den anderen an die Wand. Einer der beiden, der ein wahres Gorillagesicht hatte, fragte mit schleppender Stimme:
    »Nun, haben sie uns erwischt?«
    Alle redeten durcheinander, wie in einer Schulklasse, wenn der Lehrer nicht da ist. Sie stießen sich mit den Ellbogen in die Seiten und rissen Witze.
    Da war eigentlich nur Michonnet, der seine klägliche Miene beibehielt, die Schultern hängen ließ und mü r risch auf den Fußboden starrte.
    Else dagegen blickte Maigret fast komplizenhaft an. Hatten sie beide sich nicht ausgezeichnet verstanden? Als Monsieur Oscar einen dummen Witz machte, lächelte sie dem Kommissar flüchtig zu.
    Sie stufte sich sozusagen selbst in eine andere Klasse ein.
    »Und jetzt ein bißchen Ruhe!« donnerte Maigret in die Runde.
    Aber in diesem Augenblick hielt am Fuße der Terrasse ein kleines Auto. Ein elegant gekleideter Mann stieg aus. Er hatte eine geschäftige Miene und trug eine Lede r mappe unter dem Arm. Hastig kam er die Stufen herauf, schien erstaunt über die Umgebung, in die er da plöt z lich hineingeriet, musterte die Reihe der Männer.
    »Der Verwundete?«
    »Würdest du dich bitte darum kümmern, Lucas?«
    Es war ein berühmter Pariser Chirurg, der für Carl Andersen bestellt worden war. Er machte ein besorgtes Gesicht und verließ auf den Fersen von Inspektor Lucas den Raum.
    »Hast du die Fresse des Medizinmannes gesehen?«
    Else war die einzige, die nicht darüber lachte. Sie runzelte die Stirn, und das Blau ihrer Augen war ein wenig blasser geworden.
    »Ich wollte Ruhe haben!« sagte Maigret mit fester Stimme. »Eure Witze könnt ihr später machen. Ihr scheint zu vergessen, daß mindestens einer von euch die besten Chancen hat, einen Kopf kürzer gemacht zu we r den.«
    Und sein Blick glitt langsam vom einen Ende der Reihe zum anderen. Seine Bemerkung hatte die erhoffte Wirkung erzielt.
    Immer noch schien die Sonne. Es herrschte Frühlingsstimmung. Im Park zwitscherten die Vögel, und auf dem Kiesweg zitterten die Schatten der

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