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Maigrets Nacht an der Kreuzung

Maigrets Nacht an der Kreuzung

Titel: Maigrets Nacht an der Kreuzung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Aquarellbild. Es war dieselbe Frau.
    »Ist Carl wenigstens gut bewacht?« fragte sie mit einer Bewegung des Kinns zum Zimmer des Verletzten. »Er würde nämlich noch wilder werden als Michonnet! Ra u chen Sie ruhig Ihre Pfeife.«
    Sie goß Wasser in die Schüssel und zog in aller Ruhe ihr Kleid aus, als wäre es das Natürlichste von der Welt. Sie trug nur noch ihre Unterwäsche, zeigte aber weder Scham, noch war sie provozierend.
    Maigret dachte an seinen ersten Besuch im Haus der Drei Witwen, an Else, die wie ein Vamp rätselhaft und distanziert gewesen war, an diese verwirrende und enervierende Atmosphäre, mit der sie sich zu umgeben wußte.
    Hatte sie sich nicht total verstellt, als sie von dem Schloß ihrer Eltern erzählte, von den Kindermädchen und Gouvernanten, von der Strenge ihres Vaters?
    Damit war jetzt Schluß. Eine Geste war beredsamer als alle Worte: die Art, wie sie ihr Kleid abstreifte und sich im Spiegel betrachtete, bevor sie sich das Gesicht wusch.
    Sie war eine einfache, ordinäre, gesunde und gerissene Dirne.
    »Geben Sie zu, daß Sie hereingefallen sind?«
    »Nicht lange!«
    Sie trocknete sich das Gesicht mit dem Zipfel eines Handtuchs ab.
    »Sie Angeber! Noch gestern, als Sie hier waren und ich Sie eine Brust sehen ließ, bekamen Sie einen trockenen Hals und gerieten ins Schwitzen. Natürlich, Sie sind ein Mann! Jetzt macht Ihnen das natürlich nichts mehr aus. Und dabei bin ich doch nicht häßlicher geworden.«
    Sie reckte sich und fand Gefallen daran, ihren geschmeidigen, kaum verhüllten Körper zu betrachten.
    »Unter uns, wie sind Sie hinter die Sache gekommen? Habe ich einen Fehler begangen?«
    »Mehrere.«
    »Welche?«
    »Zum Beispiel den einen, etwas zu oft das Schloß und den Park zu erwähnen. Wenn man wirklich in einem Schloß wohnt, spricht man eher von seinem Haus oder seinem Besitz.«
    Sie hatte den Vorhang vor einer Kleiderablage beise i tegeschoben und stand nachdenklich vor ihren Kleidern.
    »Sie werden mich natürlich nach Paris mitnehmen. Es werden Fotografen dasein … Was halten Sie von diesem grünen Kleid?«
    Sie hielt es vor sich hin, um zu sehen, wie sie darin wirkte.
    »Nein. Schwarz steht mir doch am besten! Geben Sie mir bitte mal Feuer?«
    Sie lachte, denn trotz allem geriet Maigret, besonders als sie auf ihn zukam, um ihre Zigarette anzuzünden, leicht in Verlegenheit, weil es ihr gelang, eine vage erotische Atmosphäre aufkommen zu lassen.
    »Na schön, ich ziehe mich an. Ist schon ulkig, nicht wahr?«
    Dank ihres Akzents hatten selbst derbe Worte aus ihrem Mund einen klangvollen Ton.
    »Seit wann sind Sie Carl Andersens Geliebte?«
    »Ich bin nicht seine Geliebte. Ich bin seine Frau.«
    Sie zog einen Lidstrich, legte Rouge auf die Wangen.
    »Haben Sie in Dänemark geheiratet?«
    »Sie sehen, Sie wissen überhaupt noch nichts. Und verlassen Sie sich nicht darauf, daß ich rede. Das wäre gegen die Spielregeln. Übrigens werden Sie mich nicht lange festhalten können. Wieviel Zeit liegt zwischen der Festnahme und den erkennungsdienstlichen Unters u chungen?«
    »Sie werden nachher vorgeführt.«
    »Um so schlimmer für Sie! Man wird nämlich feststellen, daß mein richtiger Name Bertha Krull lautet und daß seit etwas mehr als drei Jahren ein Haftbefehl der Kopenhagener Polizei gegen mich vorliegt. Die dänische Regierung wird meine Auslieferung verlangen … So, ich bin fertig. Wenn Sie erlauben, gehe ich jetzt einen Happen essen. Finden Sie nicht, daß die Luft hier drinnen stickig ist?«
    Sie ging zum Fenster und öffnete es. Dann kam sie zur Tür zurück. Maigret ging als erster hinaus. Und plötzlich schlug sie die Tür hinter ihm zu, schob den Riegel vor, und man hörte hastige Schritte zum Fenster hin.
    Hätte Maigret zehn Kilo weniger gewogen, wäre sie zweifellos entkommen. Er aber verlor nicht den Bruchteil einer Sekunde. Die Tür war kaum verriegelt, da warf er sich mit seinem ganzen Gewicht gegen das Holz.
    Es splitterte gleich beim ersten Anlauf. Die Tür wurde mitsamt dem Schloß aus den Angeln gerissen.
    Else saß rittlings auf der Fensterbank. Sie zögerte.
    »Zu spät!« sagte er.
    Etwas außer Atem machte sie kehrt. Ihre Stirn war feucht.
    »Das habe ich davon, daß ich mich so schick angezogen habe«, meinte sie ironisch und deutete auf den Riß in ihrem Kleid.
    »Versprechen Sie mir, keinen Fluchtversuch mehr zu unternehmen?«
    »Nein!«
    »In diesem Fall weise ich Sie darauf hin, daß ich bei der ersten verdächtigen Bewegung schießen

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