Maigrets Nacht an der Kreuzung
Bäume.
Im Salon aber spürte man, daß so manche Lippen trockener geworden waren, daß aus den Blicken das Selbstvertrauen schwand.
Dennoch war Michonnet der einzige, der aufstöhnte, und es kam so unwillkürlich, daß es ihn selber übe r raschte und er sich verwirrt umsah.
»Ich sehe, ihr habt kapiert!« fuhr Maigret fort und begann, die Hände im Rücken, auf und ab zu gehen. »Wir wollen versuchen, Zeit zu sparen. Wenn wir hier zu keinem Ergebnis kommen, wird das Verhör am Quai des Orfèvres fortgesetzt. Ihr wißt doch wohl, wo das ist, oder? … Gut! Erstes Verbrechen: Isaac Goldberg wird aus näc h ster Nähe erschossen. Wer hat Goldberg an die Kreuzung der Drei Witwen gebracht?«
Sie schwiegen und sahen sich gegenseitig nicht gerade freundlich an, während man über ihren Köpfen die Schritte des Chirurgen hörte.
»Ich warte! Und ich wiederhole, daß das Verhör im Tour Pointue fortgesetzt wird. Dort wird man sich euch einzeln vornehmen! … Goldberg war in Antwerpen. Er hatte für etwa zwei Millionen Francs Diamanten an den Mann zu bringen. Wer hat dieses Geschäft eingefädelt?«
»Ich war es«, sagte Else. »Ich hatte ihn in Kopenhagen kennengelernt. Ich wußte, daß er auf gestohlenen Schmuck spezialisiert war. Als ich den Bericht über den Einbruch in London las und als die Zeitungen dann schrieben, die Diamanten müßten sich in Antwerpen befinden, ahnte ich, daß es sich um Goldberg handelte. Ich sprach mit Oscar darüber …«
»Das fängt ja gut an«, brummte dieser.
»Wer hat den Brief an Goldberg geschrieben?«
»Das war sie.«
»Fahren wir fort. Er trifft in der Nacht ein. Wer ist zu diesem Zeitpunkt in der Werkstatt? Und vor allem, wer ist mit dem Mord beauftragt?«
Schweigen. Lucas’ Schritte auf der Treppe. Er wandte sich an einen der Polizisten:
»Fahr nach Arpajon und treibe irgendeinen Arzt auf, der dem Professor assistieren kann … Bring Kampferöl mit! Alles klar?«
Und Lucas ging wieder hinauf, während Maigret mit gerunzelten Brauen seine Herde betrachtete.
»Wir wollen weiter in die Vergangenheit zurückgehen. Ich glaube, das wird einfacher sein. Seit wann bist du als Hehler tätig?«
Er blickte Monsieur Oscar scharf an, den diese Frage weniger in Verlegenheit zu bringen schien als die vo r hergehenden.
»Bravo! Sie haben es! Sie geben selbst zu, daß ich nur ein Hehler bin und war!«
Er war ein verdammt guter Schauspieler. Er blickte seine Mitgefangenen der Reihe nach an und gab sich die größte Mühe, ihnen ein Lächeln abzugewinnen.
»Wir, meine Frau und ich, sind beinahe anständige Leute. Was, mein Täubchen? Es ist ganz einfach: Ich war Boxer. 1925 habe ich meinen Meistertitel verloren, und alles, was man mir geboten hat, war eine Anstellung in einer Jahrmarktsbude. Das war sehr wenig für mich. Wir hatten mit anständigen und weniger anständigen Leuten zu tun, unter anderem mit einem Kerl, den man zwei Jahre später festgenommen hat, der aber zu jener Zeit mit Gaunereien soviel verdiente, wie er wollte.
Ich wollte das auch probieren. Und da ich früher Mechaniker gewesen bin, suchte ich eine Werkstatt. Mein Hintergedanke dabei war, mir Autos, Reifen und and e res Zubehör in Kommission geben zu lassen, das Ganze hintenherum zu verkaufen und dann einfach den Schlüssel stecken zu lassen und zu verschwinden. Ich rechnete damit, so an die vierhunderttausend Francs zu kassieren!
Aber ich kam zu spät. Die großen Firmen prüften alles zweimal, ehe sie Ware in Kommission gaben.
Jemand brachte mir eine gestohlene Karre, die ich umfrisieren sollte. Ein Bursche, den ich in einem Bistro bei der Bastille kennengelernt hatte. Das glaubt ja ke i ner, wie leicht das ist!
Es hat sich in Paris herumgesprochen. Mein Standort war insofern günstig, als ich kaum Nachbarn hatte. Zehn, zwanzig Autos wurden geliefert. Dann bekam ich einen Wagen – ich sehe ihn noch vor mir – der war vollgestopft mit Tafelsilber, das aus einer Villa in der Umgebung von Bougival gestohlen worden war. Wir verstec k ten alles. Wir setzten uns in Verbindung mit Trödlern in Etampes, Orléans und sogar in noch entfernteren Orten.
Wir haben uns das zur Gewohnheit gemacht. Es wurde unsere Masche!«
Und er drehte sich zu seinem Mechaniker um:
»Ist er schon hinter den Trick mit den Reifen gekommen?«
»Und ob!« seufzte der andere.
»Weißt du, daß du lächerlich aussiehst mit deinem Elektrokabel? Man meint, du wartest nur darauf, an den Strom angeschlossen zu werden, um dich in einen La m
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