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Maigrets Nacht an der Kreuzung

Maigrets Nacht an der Kreuzung

Titel: Maigrets Nacht an der Kreuzung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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befand. Er hatte sich kaum über den Rand gebeugt, da wich er auch schon wieder zurück und trillerte mit seiner Pfeife.
    »Bring ihn zurück, wenn nötig mit Gewalt!« rief Maigret Lucas zu und deutete auf den taumelnden Dänen.
    Es war alles auf einmal passiert, und das in einem diffusen Dämmerlicht. Lucas machte einem seiner Männer ein Zeichen. Zu zweit gingen sie auf den Verletzten zu und redeten kurze Zeit auf ihn ein. Als Carl nicht auf sie hören wollte, packten sie ihn kurzerhand und trugen ihn, der zappelte und laut protestierte, ins Haus.
    Maigret erreichte den Brunnen, aber der Polizist hielt ihn zurück, warnte:
    »Vorsicht!«
    Und tatsächlich pfiff eine Kugel vorüber, während unten im Brunnen das Echo des Schusses noch lange hallte.
    »Wer ist es?«
    »Das Mädchen. Und ein Mann. Sie ringen miteinander.«
    Vorsichtig näherte sich der Kommissar dem Brunnenrand. Aber er konnte fast nichts erkennen.
    »Deine Lampe!«
    Noch während er in groben Zügen die Situation überdachte, knallte es erneut, und die Kugel hätte beinahe die Taschenlampe zertrümmert.
    Der Mann war Michonnet. Der Brunnen war nicht tief, aber breit, und er enthielt kein Wasser.
    Da unten kämpften die beiden miteinander. Soweit man sehen konnte, hatte der Versicherungsagent Else an der Kehle gepackt, als wollte er sie erdrosseln. Sie hielt einen Revolver in der Hand. Aber diese Hand umklammerte er ebenfalls und konnte so den Schuß le n ken, wohin er wollte.
    »Was sollen wir tun?« fragte der Polizist.
    Er war verwirrt. Ab und zu drang ein Röcheln herauf. Es war Else, die nach Luft schnappte, während sie sich verzweifelt wehrte.
    »Michonnet! Ergeben Sie sich!« rief Maigret pro forma.
    Der andere antwortete nicht einmal, sondern schoß in die Luft. Und da zögerte der Kommissar nicht länger. Der Brunnen war drei Meter tief. Mit einem Satz sprang Ma i gret hinein und landete buchstäblich auf dem Rü c ken des Versicherungsmannes, wobei er allerdings auch gegen ein Bein Elses stieß.
    Es war ein heilloses Durcheinander. Ein weiterer Schuß fiel. Die Kugel streifte die Brunnenwand und schwirrte dann in die Luft, während der Kommissar vorsichtshalber erst einmal blindlings mit beiden Fäusten auf Michonnets Kopf einhieb.
    Beim vierten Schlag blickte ihn der Versicherungsagent wie ein verwundetes Tier an, taumelte und kippte mit einem blauen Auge und ausgehängtem Kieferkn o chen zu Boden.
    Else, die mit beiden Händen ihre Kehle umfaßte, rang nach Luft.
    Dieser Kampf auf dem düsteren Grund eines Brunnens, in einem Gestank von Salpeter und Schlick, war tragisch und komisch zugleich.
    Und noch komischer war das Nachspiel: den völlig niedergeschlagenen und erschöpften, wimmernden M i chonnet zog man mit dem Seil an der Winde hoch. Else, die von Maigret hochgestemmt wurde, war völlig ve r schmutzt, und ihr schwarzes Samtkleid war mit großen Flecken von grünlichem Schlick übersät.
    Weder sie noch ihr Gegner hatten ganz das Bewußtsein verloren. Aber sie waren wie zerschlagen, ausgepumpt. Sie wirkten wie Clowns, die einen Boxkampf parodieren und schließlich ermattet übereinanderfallen, es aber nicht lassen können, weiter blind ins Leere zu schlagen.
    Maigret hatte den Revolver aufgehoben. Es war Elses Waffe, die aus dem Versteck in ihrem Zimmer ve r schwunden war. Sie enthielt noch eine Kugel.
    Lucas kam mit besorgtem Gesicht aus dem Haus und seufzte bei diesem Anblick:
    »Den anderen habe ich an sein Bett fesseln müssen.«
    Der Polizist betupfte mit einem angefeuchteten Taschentuch die Stirn des Mädchens. Der Inspektor fragte:
    »Wo kommen denn die beiden her?«
    Er hatte die Frage kaum ausgesprochen, da wollte sich Michonnet, der sich kaum noch aufrecht halten konnte, mit wutverzerrtem Gesicht erneut auf Else stürzen. Aber er kam nicht dazu, denn Maigret versetzte ihm einen Tritt, daß er zwei Meter weit flog, und brüllte ihn an:
    »Jetzt ist aber Schluß mit dieser Komödie!«
    Und er mußte laut auflachen, als er das belemmerte Gesicht des Versicherungsagenten sah. Er erinnerte an einen wütenden Bengel, den man sich unter den Arm klemmt, um ihm den Hintern zu versohlen, der aber weiterzappelt und brüllt und heult, zu beißen und zu schlagen versucht, ohne seine Ohnmacht einzugestehen.
    Denn Michonnet weinte! Er weinte und drohte, sogar mit der Faust, und er schnitt wilde Grimassen!
    Else stand schließlich auf und strich sich mit der Hand über die Stirn.
    »Ich habe schon geglaubt, dies sei mein Ende«, seufzte

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