Mailverkehr für Anfänger (German Edition)
Etwas, das ich normalerweise nie aufgesucht hätte. Doch normalerweise war gestern …
Der ganze Laden ist von oben bis unten gestopft voll mit exklusiven Teppichen und Möbeln, exotischen Blumen und echten Steinway-Klavieren. Schick. Ich tat so, als hätte ich alle Zeit und alles Geld der Welt. In Gedanken richtete ich mir mein Häuschen in der Provence ein. Konnte mir alles leisten, probieren, verwerfen, setzte eine arrogante Miene auf. Geknoteter Glücksbambus. Stoffe aus Paris, Seide aus Indien. Doch was mich wirklich lockte, das waren die Fahrstühle. Aus Glas, mitten im Haus schwebend, bis unter die Decke. Ich betrat eine der kleinen Waben, stellte mich ganz vorne an die Glaswand, fuhr bis in den fünften Stock hinauf und dann sofort wieder herunter. Das Gleiche noch mal. Und noch mal. Abwärts war am besten. Es kitzelte im Bauch. Gut, dass ich alleine da drin war und mich niemand kichern hörte. Ich kam mir vor wie sechs und nicht wie sechsunddreißig. Albern, fröhlich, frei. Birgit wäre stolz auf mich gewesen.
Dann hielt der Aufzug wieder ganz oben und durch die offene Tür strömte Musik herein. Ich verließ meine Kabine und spähte um die Ecke: Sondervorführung von Lautsprechern. In einem hellen, freundlichen Raum, der über den Dächern der Stadt zu schweben schien, standen die größten Boxen, die ich je gesehen hatte. Im hinteren Teil war eine Gruppe von Männern um Stehtische versammelt. Geschäftsleute in tadellos sitzenden Anzügen, die energisch miteinander diskutierten. Dazwischen hüpfte ein schmales Kerlchen auf und ab, das eine graue Strickmütze trug und sich ununterbrochen Zigaretten drehte.
»Darf ich Ihnen etwas anbieten?«
Eine junge Frau lächelte mich an und hielt mir einen Teller mit Pralinen vor die Nase.
»Diese hier sind besonders gut«, sagte sie und zeigte auf kleine, dunkel glänzende Kugeln, die mit einer Rose verziert waren. Ich konnte nicht widerstehen, auch wenn das Mädel eine Taille hatte und ich manchmal denke, ich hätte eher einen Äquator.
Mmh, zartbitter, mit einem Hauch von Zimt. Perfekt.
»Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen unsere Lautsprecher vorführen.«
Ich schielte zu den Geschäftsmännern rüber. Fing vereinzelt Begriffe auf wie Verstärker, Hochpegeleingänge und Tape-Schleife. Das bemützte Kerlchen diskutierte am eifrigsten. Und ich fühlte mich unwohl. So fehl am Platz wie die »Kaktusblüte« am Nordpol.
»Kümmern Sie sich gar nicht um die Herren der Schöpfung. Die sind nur an der Technik interessiert. Das ist bei uns Frauen doch ein bisschen anders, oder?«
Das Taillenmädel lächelte. Richtig freundlich, nicht aufgesetzt. Also gut. Ich ließ mich zu dem großen, roten Polstersofa führen, das mitten im Raum stand.
»Machen Sie es sich gemütlich, lehnen Sie sich zurück, und genießen Sie es«, sagte die junge Frau und schob eine CD ein.
In das weiche Sofa sank ich wie in einen Berg Schlagsahne. Und die Anzüge musste ich auch nicht mehr angucken, die waren hinter mir, von der Lehne abgeschirmt. Ich hörte noch nicht mal mehr ihr Technik-Bla-Bla.
Augen zu und durch. Was konnte schon passieren? Musik ist eben Musik.
Alles vergessen, als die ersten Takte einsetzten. Die Töne brandeten aus den Lautsprechern heran, umspülten mich wie Wellen am Strand, eine unaufhaltsame Flut, die mich erreichte und mit sich riss. Doch erst als die Stimme des Sängers ertönte, ging ich wirklich unter. Rauchig, tief, kratzig. Eine alte Stimme, gesättigt von Liebe, Schmerz und Lust. Sie vibrierte in mir, diese Stimme. Die Stimme eines Mannes, der alles gekostet hat und noch lange nicht satt ist. Er besang sein geheimes Leben, alle Wünsche, die er nicht ausleben konnte. Und ich ergab mich. Ließ mich von der Stimme verführen, ließ es zu, dass die Stimme in mich eindrang, mit mir spielte und mich da berührte, wo mich noch nie zuvor jemand berührt hatte.
Der Song heißt »In my secret life« von Leonard Cohen. Er besang seine Einsamkeit, sein kaltes Herz, und beschrieb, wie dichtgedrängt und eisig es sich anfühlte, tief in ihm drin …
Ich glaube, ich habe geheult. Ein bisschen. Als ich die Augen wieder öffnete, notgedrungen, hüpfte das Strickmützenmännchen vorbei.
»Lieber ein echter Fan als hundert Hi-Fi-Nerds«, flüsterte er mir zu und zwinkerte.
Ich habe mir auf dem Heimweg die CD gekauft.
Klingt bei mir zu Hause nicht halb so gut. Aber wenn ich Kopfhörer aufsetze, dann ist es fast ähnlich.
Den Springsteen habe ich mir ebenfalls zugelegt.
Weitere Kostenlose Bücher