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Mainfall

Mainfall

Titel: Mainfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Woelm
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kreischen, während sie hastig zwischen den Grabkreuzen verschwanden und in die Kirche flohen. Bestimmt knieten sie dort vor dem Altar und beteten um Rettung. Sie hatten alles stehen und liegen lassen. Einige Kerzen brannten zwischen den Gräbern und mein Rucksack lag an der Eingangstür zur Kirche. Es fehlte nichts, aber er war offen. Sie hatten ihn demnach neugierig untersucht. Auf eine Art belustigte mich das Ganze, obwohl ich natürlich zugeben muss, dass ich wohl selbst ins Zweifeln gekommen wäre, wenn ich an der Beerdigung eines Grafen teilgenommen hätte, der plötzlich um Mitternacht auf dem Friedhof auftauchte. Für sie war ich tot und lag in meinem Grab. Sie hatten sicher mit eigenen Augen gesehen, wie mein Sarg in die Erde gelassen wurde, also konnte ich nur ein Geist für sie sein, der hier spukte. Ich stieg mit meinem Rucksack durch die Weinberge zu meinem Felsen hinauf, von dem aus ich das Schloss von oben herab beobachten konnte. Der Mond stand gelbrot über dem Horizont und malte einen goldenen Streifen über das Meer, der genau beim Hafen der Halbinsel endete. Das Schloss lag still im Mondlicht. Ich trank etwas Mineralwasser, aß ein Stück Zwieback und beobachtete das Schloss. Gab es irgendwo einen Zugang für mich? War es möglich, zu meinem Vater zu gelangen?
    Ich entdeckte kein Schlupfloch im Elektrozaun, sah die Wachen, die sogar in tiefer Nacht am Eingang zum Schloss postierten. Auf einmal fiel mir der Geheimgang ein, der von der Rückseite des Berges in den Rittersaal führte und den nur die Grafen selbst kannten. Wenn mein Vater sich an die Gesetze gehalten und diesen Gang nicht womöglich aus blinder Liebe meiner Stiefmutter verraten hatte, dann war das eine Möglichkeit, die ich in der ersten Aufregung ganz vergessen hatte.
    Sofort machte ich mich auf den Weg. Selbst im Dunkeln fand ich mich zurecht, aber der Pfad war beschwerlich, von Dornengestrüpp überwuchert, was andererseits dafürsprach, dass sie den Geheimgang noch nicht kannten. Nach einer halben Stunde fand ich zwischen zwei Felsbrocken, hinter dichtem Gestrüpp, den Eingang. Ich ließ den Rucksack zurück, nahm nur das Messer mit, welches mir Marcel geschenkt hatte, und zwängte mich in den engen Tunnel. Eigentlich war er ja dafür gedacht, das Schloss notfalls verlassen zu können, aber jetzt war es umgekehrt: Ich wollte in das Schloss hinein. Ohne Lampe und ohne Kerze kroch ich in der Finsterniss vorwärts. Einige Male stieß ich mir den Kopf, aber ich spürte die Schmerzen kaum, denn ich war besessen von dem Gedanken, ins Schloss zu gelangen. Endlich fühlte ich die hölzerne Klappe, die den Zugang zum Rittersaal verschloss. Ich schob die Klappe nach unten und rutschte vorsichtig auf den Fußboden des Saales.
    Die Rüstungen meiner Vorfahren glänzten im Mondlicht, das durch die Fenster fiel. Ich blieb zunächst ganz still sitzen und lauschte, ob ich etwas Verdächtiges hörte. Aber alles blieb still. Dann schlich ich vom Rittersaal durch die Bibliothek. Da standen sie, meine geliebten Bücher, und ich war mir sicher, dass sie diesen Dolcapone nicht im Geringsten interessierten. Ich fuhr mit der Hand über die Buchrücken, hätte am liebsten einige aus den Regalen genommen, aber dafür war jetzt nicht der richtige Augenblick. Leise huschte ich die Treppe zur Eingangshalle hinunter und kletterte aus einem Seitenfenster auf die Schlossterrasse. Die Wachen am Fuß der Treppe schliefen, trotzdem wagte ich es nicht, sie zu passieren, sondern ließ mich seitlich am Geländer in den Schlosshof hinab, so wie ich das als Junge oft aus Übermut getan hatte. Von dort schlich ich zu den Bedienstetenhäusern. Ich wusste, wo Jacques der Gärtner wohnte. Die Eingangstür seines kleinen Hauses war nicht verschlossen, so wie auch früher die Eingänge nie verschlossen waren. Ich drückte die Klinke herunter und huschte in den Flur des Hauses. Alles blieb ruhig. Der Mond malte durch die Scheibe der Haustür einen hellen Fleck auf den Fußboden, direkt vor die Holztreppe, die nach oben führte. Ich kannte dieses Haus, denn als Junge hatte ich mich mit Jacques angefreundet. Schon damals war ich beeindruckt von seiner Größe gewesen und hatte ihn ab und zu besucht, obwohl mir das als Sohn des Grafen eigentlich verboten war. Jetzt kam mir das zugute.
    Vorsichtig schlich ich die Treppe nach oben, wo das Schlafzimmer war. Eine Treppenstufe knarrte. Ich hielt die Luft an, doch ich vernahm keinen Ton. Stufe für Stufe stieg ich nach oben und hoffte,

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