Mainfall
nach innen gleiten, rutschte an der Kellerwand nach unten und blieb lauschend stehen. Im Nachbarhaus tobten währenddessen die Wachen. Türen schlugen, Schreie und polternde Schritte waren zu hören, bis der Lärm leiser wurde und sich im nächsten Haus fortsetzte. Meine Augen hatten sich inzwischen an die Dunkelheit des Kellers gewöhnt. Ich sah ein hölzernes Regal an der gegenüberliegenden Wand, auf dem sich zwei alte Koffer, Konservendosen, Gurkengläser und sonstige Vorräte stapelten. Ich wunderte mich über die Koffer, denn soweit ich wusste, hatten Jacques und seine Familie nie die Halbinsel verlassen. Vielleicht bewahrten sie ihre Träume in diesem Keller auf, dachte ich. Vielleicht hätten Jacques und Giselle die Insel gern einmal hinter sich gelassen, Paris besucht oder New York oder Berlin? Ich nahm mir vor, das Leben hier zu ändern, falls ich diesen Kampf überstehen sollte. Nicht Elektrozäune und Verbote sollten regieren, sondern nur die Liebe zu dieser Insel und die Liebe zu mir, ihrem Grafen. Sie sollten reisen können, wohin sie wollten, und sollten ihr Glück woanders suchen, wenn sie das wünschten. ›Liberté‹, dieses eine Wort, wofür sie jetzt kämpften, würde in goldenen Lettern über der Einfahrt zum Schloss stehen und sollte auf Ewigkeit an diesen Kampf erinnern, der vor uns lag.
Ein dumpfer Trommelwirbel riss mich aus meinen Gedanken. Fast hatte ich vergessen gehabt, dass ich mich in diesem Keller versteckte, um den Männern von Dolcapone zu entgehen. Das Trommeln hallte über den Schlosshof, blieb zwischen den Häuserwänden hängen, als ob es das Schloss mit Trübsal bedecken wollte, dumpf und drohend. Neugierig öffnete ich das Kellerfenster einen Spaltbreit und sah hinaus. Alain, der dicke, glatzköpfige Schmied, schritt mit der Trommel vor dem Bauch quer über den Schlosshof und trommelte, was das Zeug hielt. Immer wieder blickte er ängstlich in Richtung der Schlossterrasse, als erwarte er von dort Tadel oder Strafe, falls er nicht laut genug seine Pflicht tun sollte. Hinter ihm versammelten sich nach und nach alle Bediensteten. Da wird wieder einer ausgepeitscht, dachte ich. Ob es wieder Jacques sein würde?
Inzwischen hatte sich das Portal des Schlosses geöffnet und Dolcapone trat auf die Terrasse, allerdings diesmal bewacht von zwei dunkelhaarigen Typen mit Schnellfeuergewehren im Anschlag. Er hat Angst, dachte ich. Hinter Dolcapone ging meine Stiefmutter und hinter ihr sah ich meinen Vater im Rollstuhl, der von der alten Elise, meiner braven Amme, geschoben wurde. Die Zunge hatten sie ihr herausgeschnitten, dieser treuen Seele. Widerlich!
Mein Vater sah alt aus. Kraftlos und scheinbar willenlos ließ er sich an den Rand der Schlossterrasse schieben, vergrub sein Gesicht in den Händen und blieb dort ganz still sitzen. Dolcapone, dieser bullige Kerl mit der schweren Goldkette um den Hals, ging langsam die Treppe hinunter, begleitet von seinen Wachen. Auf dem untersten Treppenabsatz blieb er stehen, in Lederstiefeln und die Peitsche in der Hand.
»Ein Fremder ist auf der Halbinsel!«, brüllte er, und man sah, dass die meisten Bediensteten zusammenzuckten. »Wer weiß, wo er steckt?«
Ich hielt den Atem an. Zum Glück wusste Giselle nicht, dass ich noch in ihrem Keller war, und Jacques würde nichts verraten, da war ich mir ziemlich sicher.
»Na, wird’s bald«, brüllte Dolcapone und schnalzte mit der Peitsche. »Wer weiß, wo er steckt?«
Nichts rührte sich. Alle Bediensteten standen bewegungslos und mit gesenkten Häuptern da.
»Du da«, schrie Dolcapone und deutete auf Giselle, »tritt vor!«
Zaghaft kam Giselle ihm drei Schritte entgegen und stand ganz allein vor der Reihe der Bediensteten.
»Du weißt sicher etwas. Wo ist er?«, schrie Dolcapone sie an und schnalzte wieder mit seiner Peitsche.
»Ich weiß nichts«, sagte sie leise, aber ich hörte es bis in meinen Keller, dieses mutige ›Ich weiß nichts‹ und ich hätte sie umarmen können, diese treue Seele, die mich nicht verriet.
»Fesselt sie!«, schrie Dolcapone. Sofort traten zwei Wachleute hinzu, banden Giselle die Hände auf den Rücken und führten sie zum Becken des Springbrunnens.
»Knie nieder!«, schrie Dolcapone.
Giselle zögerte, was ihn noch mehr reizte. Er riss seine Peitsche nach oben und schlug Giselle auf den Rücken.
»Lasst sie, sie ist ahnungslos«, mischte sich jetzt Jacques ein, der die ganze Zeit geschwiegen hatte.
Das hätte er nicht tun sollen. Sofort richteten die Wachen
Weitere Kostenlose Bücher