Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mainfall

Mainfall

Titel: Mainfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Woelm
Vom Netzwerk:
auf dem Körper vom Baden im Meer, verschwitzt vom Aufstieg in die Weinberge, vom Sturm der Nacht zerzauste Haare, so stieg ich durch die Reben zu Tal. Bisher hatte mich mein Zustand nicht im Geringsten interessiert, jetzt begann er mich zu beschäftigen. Viel zu ändern war da nicht. Ich konnte mich nicht rasieren, da ich kein Rasierzeug besaß, und eine Dusche kannte ich hier nirgendwo im Freien. So blieb mir nur der Brunnen auf dem Friedhof, wo die Gießkannen für die Gräber standen. Dort hielt ich den Kopf unters Wasser, wusch meinen Oberkörper und wollte dann mein Hemd aus dem Rucksack anziehen. Als ich gerade den Kopf mit dem Handtuch von Marcel trocknete, hörte ich Schritte hinter mir. Ich wagte es nicht, mich umzudrehen, wandte den Blick nur leicht nach links und schielte durch mein um den Kopf gewickeltes Handtuch. Langsam kam sie mit ihrer Gießkanne näher. Sie ging gebeugt, zog das rechte Bein etwas nach, war alt geworden, aber ich kannte sie noch. Sie hatte bei uns im Schloss in der Küche gearbeitet, wenn Not am Mann war oder bei Festen, die alte Henriette. Sie war die Mutter des Gastwirtes und wohnte oben in der Wirtschaft unter dem Dach. Ob sie mich erkennen würde? Ich ließ langsam das Handtuch sinken und strich mir die Haare aus der Stirn.
    »Es ist warm heute«, sagte ich, wie um mich für meine Wäsche am Brunnen zu entschuldigen.
    Sie starrte mich an. Dann begann sie zu zittern, ließ die Gießkanne fallen, drehte sich um und rannte, so gut sie es mit ihrem Klumpfuß noch konnte.
    »Du lieber Gott«, rief sie, »steh mir bei.« Ihr dunkler Rock flatterte und sie fuchtelte mit den Armen und lief davon, als ob sie der Leibhaftige verfolgte. Sie eilte zum Seiteneingang der Kirche, riss die Tür auf und stürzte hinein.
    Ich nahm meinen Rucksack und folgte ihr. Ich wollte versuchen, mit ihr zu sprechen, doch sie war völlig außer sich. Nachdem ich durch den Seiteneingang in die Kirche getreten war, sah ich sie vor dem Altar inbrünstig beten. Sobald sie mich hörte, schlug sie das Kreuz und flehte laut: »Oh lieber Gott, so hilf mir doch!«
    »Hallo, Henriette«, sprach ich sie an und blieb ganz still stehen, um sie nicht weiter zu ängstigen. Ich kam mir zwischen den Bankreihen wie eine Statue vor, mit nacktem Oberkörper, mein Shirt und das Handtuch über der Schulter, den Rucksack auf der Bank neben mir abgestellt.
    Sie betete jetzt lauter, noch inbrünstiger, flehte Gott und die heilige Jungfrau Maria um Hilfe an und wagte es nicht, mich nochmals anzusehen.
    »Hallo, Henriette«, sagte ich wieder, »ich bin es, der Graf.«
    »Du lieber Himmel, du lieber Himmel«, murmelte sie, schlug drei Kreuze hintereinander, erhob sich, ohne mich richtig anzusehen, und hastete an mir vorbei aus der Kirche.
    Ich war mir sicher, dass ziemlich schnell das ganze Dorf erfahren würde, dass ich ihr als Geist erschienen sei und sie mit Namen angeredet hatte. Irgendwie belustigte mich der Gedanke und ich überlegte, noch die alte Bäckersfrau zu erschrecken, die dafür bekannt war, dass sie an Erscheinungen glaubte. Andererseits war das ein gefährliches Spiel. Wenn jemand auf der Insel wäre, der wusste, dass ich nicht wirklich tot war, würde ich mich dadurch verraten und in höchste Gefahr bringen. Ich ließ es also lieber sein, zog in aller Ruhe meine Hose und mein Hemd an, steckte das Handy ein und verbarg den Rucksack auf dem Friedhof hinter unserem Familiengrab. Dann trat ich durch das Hauptportal vor die Kirche. Die Gaststätte gegenüber war um diese Zeit am späten Vormittag noch geschlossen. Der Wirt, Monsieur Pierrefitte, den alle nur Pierre nannten, wischte die Holztische ab, die vor seinem Lokal standen.
    Ich überquerte langsam den Dorfplatz, ging direkt auf Pierre zu und grüßte: »Hallo, Pierre.«
    Er starrte mich an.
    »Das ist nicht möglich. Sie hatte recht«, stammelte er, ließ seinen Lappen fallen, rannte in die Wirtschaft und schlug die Tür von innen zu. Kurz darauf sah ich ihn hinter dem Fenster, wo er den Vorhang zur Seite schob und mich anstarrte.
    Ich hätte nicht gedacht, dass selbst dieser gestandene Mann Angst vor mir hatte. Aber spätestens jetzt war klar, dass es heute Abend das ganze Dorf erfahren würde, wenn die Männer beim Wein zusammensaßen und Karten spielten.
    Ich ging auf das Fenster zu. Sofort ließ Pierre den Vorhang fallen und war nicht mehr zu sehen. Dann klopfte ich an die Eingangstür, was zur Folge hatte, dass von drinnen laute Gebete erklangen, obwohl Monsieur

Weitere Kostenlose Bücher