Mainfall
herausgeschnitten.«
Ich war entsetzt, als ich das hörte. Gleichzeitig spürte ich, wie meine Entschlossenheit wuchs, den Kampf gegen Dolcapone zu führen.
»Haben wir Waffen?«, fragte ich Jacques.
»Nur Messer und ein paar alte Gewehre, sonst nichts.«
Ich sah wieder sein besorgtes Gesicht und wusste, dass dieser Hüne von einem Kerl Angst hatte. Giselle, seine Frau, stand hinter ihm und wirkte noch besorgter.
»Vielleicht sollten wir lieber noch warten«, stammelte sie. »Jacques darf nicht sterben, Herr Graf, oh Gott, er darf nicht sterben.«
Sie begann, sich in den Gedanken hineinzusteigern, dass Jacques im Kampf mit Dolcapone sterben könnte, und war durch nichts mehr zu beruhigen.
Erst als ich sie bei den Schultern packte und sagte: »Er wird bestimmt nicht sterben«, beruhigte sie sich.
»Ich muss jetzt wieder an die Arbeit, sonst fällt es auf, dass ich fehle«, meinte Jacques.
»Bilden Sie Kampfgruppen, Jacques«, gab ich ihm noch mit auf den Weg, »Kampfgruppen aus den besten Männern. Alle müssen um Mitternacht losschlagen. Drei für die Wachen am Eingang, drei für die an der Treppe. Die Wachen im Schloss und Dolcapone übernehmen wir selbst. Pierre und der alte Lehrer sollen den Hafenwärter festsetzen.«
Ich war überrascht, wie selbstverständlich mir die Kommandos über die Lippen kamen. Es war, als ob ich nie im Leben etwas anderes getan hätte, als Ganoven aus einem Schloss zu vertreiben.
»Es wird hoffentlich alles gut gehen«, stammelte Giselle, nachdem Jacques verschwunden und die Tür ins Schloss gefallen war. Ihre Wangen glühten vor Aufregung und ich befürchtete, sie würde sich wieder in ihre Todesängste hineinsteigern.
»Natürlich geht alles gut, Giselle«, sagte ich mit fester Stimme, um sie zu besänftigen. »Sie werden mich doch unterstützen, oder?«
»Ja, sicher, Herr Graf«, antwortete sie kleinlaut, als müsse sie sich für ihre Ängste entschuldigen.
Der Nachmittag war wohl der längste meines Lebens. Ich legte mich ins Bett von Jacques, um mich für den Kampf auszuruhen. Doch Gedanken tanzten in meinem Kopf. Mehrmals ging ich meinen Schlachtplan durch. Ich sah mich mit Dolcapone kämpfen, sah meine Stiefmutter vor mir auf dem Boden knien und meinen alten Vater, der mich in die Arme schloss. Ich stellte mir sämtliche Wege durch das Schloss vor, durchwanderte in Gedanken alle Räume und erinnerte mich an jeden Winkel, den ich seit meiner Kindheit kannte. Mein Gehirn wusste noch alle Einzelheiten und ich wunderte mich darüber, wie ich alles hatte vergessen können. Bilder aus der Kindheit stiegen in mir auf. Ich erblickte das Gesicht meiner Mutter, die mich anlächelte. Irgendwann muss ich eingeschlafen sein und wachte erst wieder auf, als Giselle an meiner Schulter rüttelte.
»Sie müssen weg, Herr Graf«, flüsterte sie ganz aufgeregt und ich sah in ihr angstverzerrtes Gesicht. »Die Wachen von Dolcapone durchsuchen die Häuser. Sie müssen weg, Herr Graf!«
Während sie das hervorpresste, hörte ich schon Schreie in den Nachbarhäusern, Türen schlugen, polternde Schritte waren zu hören, kreischende Frauen, und immer wieder der Ruf: »Wir müssen ihn finden!«
»Schnell jetzt, Herr Graf!«, trieb mich Giselle zur Eile an. »Schnell! Am besten durchs Kellerfenster auf der Rückseite des Hauses.«
Ich eilte in den Keller und zog die Tür hinter mir zu, die sich leider nicht abschließen ließ. Zeitgleich wurde oben die Haustür aufgerissen.
»Bei Jacques könnte er sich versteckt haben«, hörte ich Schreie, dann Stiefel auf der Treppe, Schritte in den oberen Zimmern und das Schlagen von Schranktüren.
Nichts wie weg, dachte ich. Ich öffnete das Kellerfenster, zog mich am Rahmen nach oben, zwängte mich durch die enge Luke und lag wenig später flach auf dem Boden hinter dem Haus. Ich zog das Kellerfenster von außen wieder zu und blieb ganz still liegen. Einige Lavendelpflanzen boten mir etwas Sichtschutz. Über den Schlosshof zu rennen, war zu gefährlich. Also blieb ich einfach liegen und betete, dass sie das Kellerfenster nicht von innen aufstoßen würden. Ich hörte die Kellertür im Haus, hörte die Schritte von zwei Männern im Keller, hielt den Atem an, machte mich zwischen den Lavendelstauden ganz flach, wäre am liebsten im Boden versunken, hörte die Flüche der Wachen und dann ihre Schreie an der Eingangstür des Nachbarhauses. Da mir nichts Besseres einfiel, schob ich das Kellerfenster von außen wieder auf, ließ mich durch die Luke
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