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Mainfall

Mainfall

Titel: Mainfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Woelm
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hatte eine poetische Ader. Hat gern Geschichten geschrieben, die er mir zum Lesen brachte. Hätte bestimmt etwas aus ihm werden können.«
    »Monsieur Latour, Monsieur Latour«, rief im selben Augenblick die Haushälterin aufgeregt in den Garten, »ein Geist soll an der Kirche erschienen sein, der Geist des jungen Grafen! Die alte Henriette hat ihn gesehen und er war sogar bei Pierre und hat an die Tür der Gaststätte geklopft.«
    Monsieur Latour lächelte mich an. »Auf unserer Insel glauben die Leute noch an Geister«, sagte er, als ob er sich für sie entschuldigen müsse. »Die alte Henriette ist dafür sowieso bekannt. Dass allerdings jetzt auch der gute Pierre diesen Unsinn glaubt, das wundert mich.«
    Er nahm seinen Stock, erhob sich und ging um das Haus zur Straße.
    »Will mal nach dem Rechten sehen«, erklärte er. »Wenn Sie wollen, können Sie mitkommen.«
    »Nein, vielen Dank«, sagte ich und verschwand, so schnell ich konnte, in Richtung Hafen.
     
    Das ganze Dorf war mittlerweile in Aufregung und für mich wurde es von Stunde zu Stunde gefährlicher. Wenn dieser Dolcapone tatsächlich ein Mafiaboss war und es womöglich auf mich abgesehen hatte, damit ich sein teuflisches Spiel nicht störte, dann war es nur noch eine Frage der Zeit, bis er mich erwischte. Ich ging ein Stück an der Küste entlang und versteckte mich zwischen den Felsen, wo ich mein Handy herausholte, um Kommissar Rotfux anzurufen. Doch schon der Blick auf das Display zeigte mir: Kein Empfang. Dennoch wählte ich seine Nummer und wartete auf eine Verbindung, aber es tat sich nichts. Ich saß in der Falle. Hilfe holen konnte ich nicht, in das Schloss kam ich nicht hinein und die Bewohner des Dorfes fürchteten sich vor mir, weil sie an die Erscheinung eines Geistes glaubten. Elektrozäune, Schnellfeuergewehre – mit bloßen Händen konnte man gegen diesen Dolcapone nichts ausrichten, überlegte ich. Ich musste ihn überlisten, aber wie?
     
    Zunächst versteckte ich mich für den Rest des Tages in einer Höhle zwischen den Felsen am Ufer. Es war ein großer Vorteil für mich, dass keiner die Insel so gut kannte wie ich. Nachts schlich ich zum Friedhof, um meinen Rucksack zu holen, denn ich hatte Durst und wollte etwas Zwieback essen. Ich richtete es so ein, dass ich um Mitternacht dort erschien. Als Geist hatte man schließlich seine Gewohnheiten. Leise schlich ich zwischen den Grabkreuzen hindurch zu unserer Familiengruft, griff hinter die Mauer in die Nische, wo ich meinen Rucksack abgelegt hatte, aber dort lag nichts. Im selben Moment hörte ich Stimmen.
    »Er will seinen Rucksack holen«, flüsterte es.
    Mehrere alte Weiber hielten sich in einiger Entfernung zwischen den Grabsteinen auf. Ich sah ihre weißen Gesichter und Hände im Mondlicht. Sie beteten. Die alte Henriette war dabei und ich sah Pierre, den Gastwirt. Ich blieb still und regungslos stehen, wie man das von Geistern kennt. Nur keine hektische Bewegung, dachte ich. Die Bewohner waren ebenfalls ruhig, starrten mich mit offenen Mündern an und hatten die Hände zum Gebet gefaltet. Etwa eine halbe Minute blieb ich stehen wie eine Statue. Dann wandte ich mich zum Grab meiner Mutter und sprach laut mit ihr. Ich verstellte meine Stimme, sprach dunkel und hohl, tief aus dem Bauch heraus.
    »Geliebte Mutter, schenk mir meine Ruhe«, sagte ich.
    Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, so still waren jetzt alle. Nur ein Vogel krächzte durch die Nacht, als ob er meinen Worten Gewicht verleihen wollte.
    »Und ihr da, setzt diesem schrecklichen Spuk ein Ende«, sagte ich leise, aber so, dass sie es mit Sicherheit hörten. »Verjagt Dolcapone von der Insel, sonst werde ich eure Seelen einzeln holen.«
    Ich schaute in ihre Richtung und blieb wieder ganz still stehen. Dann streckte ich die Arme aus wie ein Schlafwandler und ging langsam auf sie zu. Ich sah, dass ihre Gesichter erstarrten. Sie hielten sich an den Händen, klammerten sich aneinander fest. Sogar Pierre hing wie ein jämmerliches Häufchen Elend an den alten Weibern.
    »Lasst mich euch berühren, treue Untertanen«, sagte ich mit besonders tiefer Stimme und ging langsam auf sie zu. Einen Augenblick blieben sie noch wie angewurzelt, wo sie waren, doch schließlich kam Bewegung in den Haufen. Zuerst rannte Henriette, dann Pierre, dann die alte Bäckersfrau und ganz zum Schluss Babette, die Frau des Küsters.
    »Er ist es, er kommt hinter uns her, schnell, bringt euch in Sicherheit!«, hörte ich die alten Frauen

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