Mainfall
verloren.«
Ich sah durch das Fenster des Ganges, welches zum Park gerichtet war. Tatsächlich! Da schwamm Dolcapone im Schlossteich, nicht mehr weit vom Ufer entfernt.
»Mir nach!«, brüllte ich. »Wir müssen ihn fangen! Jacques, du bleibst hier und bewachst das Schlafzimmer.«
Alle anderen folgten mir im Laufschritt. Nur Giselle blieb bei Jacques. Wir hasteten die Treppen hinab, dann quer über den Schlosshof und sahen Dolcapone aus dem Park kommen. Er rannte zur Einfahrt des Schlosses, die im Moment unbewacht war.
»Er darf uns nicht entwischen!«, schrie ich.
Doch sein Vorsprung war zu groß. Er erreichte die Einfahrt vor uns und verschwand in den Weinbergen. Tagsüber hätte man ihn sicher gut gesehen, aber derzeit, im fahlen Mondlicht, war er schwer auszumachen. Mal glaubte man, er sei dort, mal raschelte es da zwischen den Reben, aber nie konnte man sich sicher sein, ihn tatsächlich zu sehen.
»Er will bestimmt zum Hafen«, flüsterte ich. »Paul und Josef, ihr rennt direkt hin, und wenn er dort erscheint, schießt ihr notfalls. Er darf auf keinen Fall entkommen! Ich werde versuchen, ihm durch die Weinberge zu folgen.«
So trennten wir uns und ich rannte die Weinberge hinab, immer nach rechts und links Ausschau haltend, um Dolcapone zu entdecken. Ich lief schnell, denn ich wusste, dass er am Ende des Hanges die Weinberge würde verlassen müssen. Darin sah ich meine Chance. Zwischen den letzten Reben legte ich mich flach auf den Boden und lauschte. Selbst nachts sangen die Cigallen. Sonst war nichts zu hören. Er war schlau. Wahrscheinlich lag er ebenfalls irgendwo zwischen den Reben und wartete.
Nach einiger Zeit fielen am Hafen Schüsse. Diesen Moment versuchte Dolcapone zu nutzen. Ich sah, wie er aus den Reben stürmte, sprang auf und folgte ihm auf den Friedhof. Er huschte zwischen den Gräbern hindurch, wobei er jetzt müde zu werden schien, denn er stolperte mehrmals und blieb mit seiner wehenden Jacke so unglücklich an einem der Kreuze hängen, dass man das Reißen des Stoffes hörte, als er sich losriss. Gleich habe ich dich, dachte ich. Im selben Augenblick sah ich die alten Weiber im Mondlicht vor uns auftauchen. Sie hatten wieder Kerzen zwischen den Kreuzen aufgestellt. Ihre weißen, faltigen Gesichter sahen im Mondlicht gespenstisch aus und starrten entsetzt in unsere Richtung. Dolcapone hielt einen Augenblick inne. Er schien zu überlegen, wie er jetzt am besten entkommen konnte. Die Weiber zitterten vor Angst, allerdings nicht vor Dolcapone, sondern vor mir.
»Er ist es, er kommt«, hörte ich sie zischen.
Offensichtlich glaubten sie immer noch, dass ich ein Geist sei, und fürchteten sich vor mir.
»Haltet Dolcapone auf«, rief ich mit dunkler, hohl klingender Stimme. Wenn sie unbedingt an Geister glauben wollten, dann konnte ich ihnen dabei behilflich sein. »Fangt Dolcapone, sonst werde ich eure Seelen einzeln holen!«
Das tat seine Wirkung. Die Weiber zeterten und kreischten und stürzten sich auf Dolcapone, der davon so überrascht war, dass er hinfiel und unter einem Knäuel von alten Frauen und deren langen, dunklen Röcken begraben wurde. Wäre es nicht um Leben und Tod gegangen, ich hätte mich über den Anblick köstlich amüsiert. Mit wenigen Schritten war ich bei den Frauen. Ich richtete mein Schnellfeuergewehr auf Dolcapone, der erschöpft unter ihnen lag und nur sein rundes, fettes Gesicht wieder freibekommen hatte. Schweiß stand auf seiner Stirn und Angst in seinen Augen.
»Hier, fesselt ihn«, sagte ich zu den Frauen und warf ihnen einen Strick zu, den ich in meiner Hosentasche hatte. »Er darf euch nicht entkommen, sonst sind eure Seelen verloren.«
Besonders die alte Henriette, die Mutter des Gastwirtes, legte sich schwer ins Zeug. Ich wunderte mich, welche Kräfte in den Alten steckten. Sie banden Dolcapone die Arme auf den Rücken, sodass er vor Schmerzen schrie, und sie verknoteten den Strick, als müsste die Fesselung bis in alle Ewigkeit halten.
»Bringt ihn zum Schloss«, sagte ich wie ein Bauchredner und sofort zogen die Weiber Dolcapone am Strick hinter sich her, hinaus aus dem Friedhof und den Schlossberg empor. Zuerst hatte ich gar nicht bemerkt, dass es sieben alte Frauen waren. Alle in langen, dunklen Röcken und mit dunklen Blusen. Im Mondlicht leuchteten lediglich ihre weißen Gesichter und ihre Hände und es war eine gespenstische Prozession, die den Berg zum Schloss hinaufzog. Natürlich hatte ich mein Gewehr auf Dolcapone gerichtet, aber ich
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