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Mainfall

Mainfall

Titel: Mainfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Woelm
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war mir nicht sicher, ob ihn der Auflauf der zeternden Weiber mehr beeindruckte als das Gewehr. Unterwegs hörte ich die Frauen flüstern.
    »Es ist der Graf«, sagte Henriette.
    »Ja, er sieht genauso aus. Nur seine Stimme klingt unheimlich«, flüsterte die alte Bäckersfrau.
    »Komisch, dass er ein Gewehr hat«, meinte Babette, die Frau des Küsters.
    So ging es den ganzen Weg und ich amüsierte mich köstlich. Fast schon gefiel mir der Gedanke, ein Geist zu sein. Als wir den Schlosshof erreichten, hatten sich die meisten Bediensteten versammelt. Auch Paul und Josef waren vom Hafen zurück und hatten den Hafenmeister und die Wachen ins Verlies unter der Schlosstreppe geworfen. Nur Jacques und Giselle fehlten.
    »Die bewachen das Schlafzimmer«, sagte der Schmied, den sie mit seinem verbundenen Bein auf einen Stuhl gesetzt hatten, auf dem er thronte wie ein siegreicher Feldherr. Ich reichte dem Schmied mein Schnellfeuergewehr.
    »Pass gut auf ihn auf«, sagte ich zu ihm.
    Der Schmied strahlte. Es war wohl der größte Tag seines Lebens, obwohl er am Bein verwundet worden war. Ich eilte die Treppen hinauf zum gräflichen Schlafzimmer. Jacques saß brav mit seinem Gewehr davor und neben ihm Giselle, die nicht mehr von seiner Seite wich. Wir rissen die Tür auf. Claudine, meine Stiefmutter, kauerte ängstlich auf dem Bett. Sie erschrak aber nicht, als sie mich sah, sondern wusste offensichtlich, dass ich nicht auf dem Friedhof lag.
    »Du hast genug Schrecken verbreitet«, sagte ich nur und sie begann heftig zu schluchzen.
    Der Wachmann, dessen Gewehr Dolcapone im Schlossteich versenkt hatte, wurde in Fesseln gelegt. Dann brachten wir Claudine und ihn hinab auf den Schlosshof. Als Dolcapone Claudine sah, stieß er wilde Flüche aus.
    »Hätte ich mich besser nie auf dich eingelassen«, fluchte er bissig. »Ich wusste doch, dass das nicht gut gehen wird.«
    Claudine schluchzte danach noch heftiger und bot ein jämmerliches Bild, das einer Gräfin nicht würdig war.
    »Werft sie ins Verlies«, sagte ich, denn ich wollte meinem Vater diesen Anblick ersparen. Immerhin hatte er sie einmal geliebt und sogar geheiratet, auch wenn das lange her war.
    Inzwischen erschien die alte Elise mit meinem Vater im Rollstuhl auf der Schlossterrasse. Ich sah die Peitsche in der Hand meines Vaters und ging die Treppen zu ihm hinauf.
    »Peitsche Dolcapone aus, mein Sohn«, sagte er ganz leise und reichte mir die lederne Waffe.
    Ich wollte mich nicht auf dieses Niveau begeben. Aber dann sah ich diesen Dolcapone, fett und schmierig, sah den Schmied mit seinem verletzten Bein, sah Giselle und Jacques, die er am Vortag bis aufs Blut geschlagen hatte, und es war mir klar, was ich zu tun hatte.
    »Stoßt ihn in den Springbrunnen«, sagte ich zu den alten Weibern, die ihn immer noch an ihrem Strick hielten.
    Sie taten es mit Freude, zwangen ihn, ins Wasser zu knien, gaben ihm sogar noch ein paar Fußtritte, so verhasst schien er auch bei ihnen zu sein.
    »Macht seinen Oberkörper frei«, wies ich die Weiber an.
    Mit ihren dürren, knöchernen Fingern rissen sie ihm die auf dem Friedhof zerfetzte Jacke und sein Hemd vom Leib. Fett quoll ihm sein Bauch über den breiten Ledergürtel, der seine Hose hielt, und fett hingen seine Lenden rechts und links heraus.
    Ich tauchte die Peitsche ins Wasser. Totenstill war es auf dem Schlosshof. Das fahle Mondlicht spiegelte sich im Becken des Springbrunnens und beleuchtete das angstverzerrte Gesicht von Dolcapone.
    »Das Spiel ist aus«, sagte ich leise und fühlte, wie die ganze Last der vergangenen Stunden und Tage von mir abfiel.
    Die Peitsche klatschte auf Dolcapones Rücken. Keiner sagte etwas. Gebannt lauschten sie meinen Schlägen. Ich glaube, sie wollten jeden Schlag hören, jeden Schlag genießen, auf den Rücken ihres Peinigers, den sie so hassten. Ich schlug jetzt kräftiger, dachte an Giselle, die er gequält hatte, holte weit aus, bis ihm die Haut platzte und auch sein Rücken blutig war, so wie er Giselle und Jacques blutig geschlagen hatte.
    Dolcapone begann zu jammern, flehte um Gnade, versprach mir viel Geld, aber ich war taub für alles, was er sagte, hörte nur auf das Peitschen, bis die Bediensteten vor Begeisterung tobten und mein Vater mir einen Wink gab, dass es genug sei. Also ließ ich die Peitsche sinken.
    »Ich danke euch«, rief ich den Bediensteten zu. »Ihr habt euch selbst befreit. Ich war nur der Geist, der hinter allem stand.«
    Als ich das Wort ›Geist‹ sagte, fingen die

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