Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mainfall

Mainfall

Titel: Mainfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Woelm
Vom Netzwerk:
Geschichte fort.
    »Aber leider verunglückte die schöne Prinzessin schwer. Sie wurde von einer Kutsche überfahren und alle dachten, sie sei tot.«
    Als ich das sagte, war es mucksmäuschenstill im Raum. Nicht mal ein Räuspern oder Hüsteln unterbrach die Stille.
    »Man brachte die verunglückte Prinzessin heimlich zu einem Wunderheiler, aber der Prinz hörte lange nichts mehr von ihr und glaubte wie alle, sie sei tot. Andere Prinzessinnen ritten mit ihm aus, andere Prinzessinnen badeten mit ihm, andere Prinzessinnen spielten mit ihm Karten …«
    »Und küssen …«, schrie wieder der vorlaute Knirps aus der zweiten Reihe.
    »Ja«, fuhr ich fort, »andere Prinzessinnen versuchten ihn auch zu küssen, aber mit keiner war es so wie mit Melanie. Als der junge König es nicht mehr aushielt ohne seine Prinzessin, machte er sich auf die Suche nach ihr. Er fühlte, dass sie noch am Leben sein musste, auch wenn er nicht wusste, wo sie war.«
    »Beim Wunderheiler, beim Wunderheiler …«, riefen die Kinder und der ganze Saal tobte.
    »Ja, da habt ihr recht«, sagte ich zu den Kindern, »aber der junge König kannte ja den Wunderheiler nicht. Er wusste nicht, wo er wohnte, und hatte keine Ahnung, wo seine hübsche Prinzessin sein konnte. Also zog er viele Wochen durch sein Land und endlich sogar in das Nachbarkönigreich, das er mit Melanie einmal besucht hatte. Dort hatten sie runden Käse und lange Stangenbrote und die Kirchen reckten sich hoch in den Himmel und die Häuser wurden von Holzbalken zusammengehalten und hatten hölzerne Treppen. In einem dieser Häuser hatte der Prinz mit seiner Prinzessin gewohnt und dort wollte er fragen, ob man sie gesehen hätte. Als er das Haus betrat, kam ihm eine alte Frau entgegen, mit weißen Haaren und einer dunklen Schürze. Um ihre dürren Beine strich eine fette Katze.«
    »Eine Hexe, eine Hexe …«, schrien ganz aufgeregt mehrere Kinder. »Achtung, eine Hexe!«
    »Ich weiß nicht, ob es eine Hexe war«, erzählte ich weiter. »Sie war freundlich zum Königssohn und verriet ihm, dass seine Prinzessin noch lebte. Sie sagte ihm, die Prinzessin gehe an Krücken und trage eine Halskrause, aber sie lebe noch. Doch sie konnte ihm nicht sagen, wo die Prinzessin war. Deshalb verabschiedete sich der Königssohn von der alten Frau und wollte weitersuchen. Vor lauter Freude darüber, dass seine Prinzessin noch lebte, wurde er aber unvorsichtig und stürzte in dem dunklen Haus die Treppe hinunter. Sein linkes Bein schmerzte sehr und er konnte nur noch an Krücken gehen – so wie ich.«
    Ich humpelte ein Stück nach links, dann ein Stück nach rechts und die Kinder grölten vor Freude. Dabei verzog ich mein königliches Gesicht vor Schmerzen und keiner hätte das besser tun können als ich, denn mein linker Fuß tat wirklich schrecklich weh.
    »Glaubt ihr, dass der junge König seine Prinzessin gefunden hat?«, fragte ich die Kinder.
    »Ja«, brüllte der ganze Saal und der Oberbürgermeister lächelte zufrieden. Die Reihen waren bis auf den letzten Stuhl gefüllt, sodass ich die Kinder hinten gar nicht genau erkennen konnte. Aber sie riefen alle begeistert: »Ja, er hat sie gefunden!« Rechts des Mittelganges, links des Mittelganges, überall war dieses ›Ja‹ zu hören.
    Ich hielt einen Moment inne. Jetzt musste ich die Lösung präsentieren. Jetzt musste ich die Prinzessin wieder auftauchen lassen, damit die Kinder ihre Freude hatten. Also fuhr ich fort.
    »Natürlich ging der junge König auch mit Krücken weiter auf die Suche. Er quälte sich über Berg und Tal, er humpelte durch Wälder und Auen und er wünschte sich nichts so sehr, wie seine Prinzessin zu finden. Sein Fuß schmerzte, oft standen Tränen in seinen Augen, aber er wollte nicht aufgeben.«
    Als ich das sagte, war es wieder ganz still im Raum und die Kinder saßen mit offenen Mündern da.
    »Endlich …«, wollte ich gerade meine Geschichte fortsetzen, da hörte ich ein seltsames Geräusch. Tapp, tapp, tapp, machte es hinten im Saal und alle Kinder drehten sich um. Ich ging ein paar Schritte nach vorn, um besser sehen zu können. Tapp, tapp, tapp, machte auch ich mit meinen Krücken. Da kommt jemand auf mich zu gehumpelt, schoss mir ein Gedanke durch den Kopf. Vielleicht ein behindertes Kind, das jetzt Prinzessin spielen wollte, oder jemand mit Krücken, der zur Toilette musste? Tapp, tapp, tapp, hörte ich es wieder von hinten und konnte erkennen, dass von dort eine Person mit Krücken kam. Ein Kind war es nicht,

Weitere Kostenlose Bücher