Mainfall
war.
»Bis bald einmal wieder«, verabschiedete er sich und ich war mir ganz sicher, dass ich gern wieder bei ihm einkehren würde.
Straßburg schlief noch, als ich es verließ, und auch Karlsruhe lag noch im sonntäglichen Dämmerschlaf, als ich es um 8.00 Uhr passierte. Während der Zugfahrt dachte ich über Geschichten nach, die ich den Kindern bei der Audienz erzählen könnte. Aber ich war mir unsicher, was zu einem König mit Fußverletzung passte. Schließlich kam ich auf die Idee, einfach die Geschichte vom König mit den Krücken zu erzählen. Dann würden die Krücken zur Geschichte gehören und konnten gar nicht stören.
Um 10.19 Uhr traf ich in Aschaffenburg ein.
›Hochschulstadt Aschaffenburg‹, tönte es aus den Lautsprechern und ein wenig kam das Gefühl einer zweiten Heimat in mir auf. Ich merkte, dass mir diese Stadt inzwischen viel bedeutete. Mein zweites Leben hatte ich hier begonnen, hatte mich mit Ulrich angefreundet, war König dieser Stadt geworden, kannte das Schloss, kannte die Stiftsbasilika und kannte Isabell, auch wenn sie nicht meine große Liebe war. Ich humpelte aus dem Bahnhof hinaus, wobei ich Glück hatte, denn ein junger Student trug mir den Koffer, nachdem er gesehen hatte, wie mühsam es für mich mit den Krücken und mit Oskar war. Ein Taxi brachte mich zum Schloss. Am Eingang begrüßte mich der Oberbürgermeister mit einem Strauß weißer Rosen.
»Oh, der Herr König auf Krücken«, sagte er, »aber Hauptsache, Sie sind da, mein Lieber.«
Ich war ›sein Lieber‹ und wusste im selben Augenblick, dass meine innere Stimme recht gehabt hatte. Man fühlte sich dort wohl, wo man geliebt wurde, und diese Stadt liebte ihren König, das spürte ich. Der Oberbürgermeister verbeugte sich und überreichte mir den Strauß, den ich über meine rechte Krücke klemmte. Blitzlichter flammten auf, wir lächelten beide in die Kameras der örtlichen Presse.
»›König auf Krücken zurück‹, so wird es morgen in der Zeitung stehen«, witzelte der Oberbürgermeister, nachdem ich ihm verraten hatte, dass mein linker Fuß nur verstaucht war.
Nach der Begrüßung eilte ich zum Turmzimmer, um mich umzuziehen. Der Oberbürgermeister trug höchstpersönlich meinen Koffer nach oben und nahm sogar Oskar auf den Arm, während ich mich mit meinen Krücken plagte.
»Ich habe schon gehört, dass Sie ein echter Graf sind«, sagte er unterwegs. »Ich hoffe, Sie bleiben uns trotzdem treu, Herr Graf!«
Ich sagte darauf nichts und das erwartete er wohl auch nicht. Im Turmzimmer stellte ich meinen Koffer ab und Oskar hüpfte sofort in sein Körbchen. Dann sah ich aus dem Fenster.
Ruhig zog der Main seine Bahn unterhalb des Schlosses und erlaubte es einigen Sportbooten, sich auf ihm zu tummeln.
Ich warf meinen Umhang über die Schulter und setzte die Krone auf. Dann nahm ich die Krücken und versuchte, ein paar Schritte zu gehen. Ich sah unruhig auf die Uhr. Fünf Minuten vor elf. So schnell ich konnte, humpelte ich zu meiner Audienz.
31
In der ersten Reihe saß Isabell. Sie stand auf und kam sofort auf mich zu, als sie meine Krücken sah.
»Du liebe Güte, was ist passiert? Warum hast du dich nicht gemeldet?«, fragte sie.
Ich bemerkte ihre Besorgnis, die mir jedoch etwas lästig war, und ich spürte ihre Zuneigung, die ich nicht wirklich erwidern konnte.
»Nicht der Rede wert«, sagte ich. »Ich habe mir nur den Fuß verstaucht. Das wird schon wieder.«
Dann begann ich mit meiner Audienz.
»Der König ist verletzt«, hörte ich die Kinder flüstern. »Er muss an Krücken gehen.«
Manche waren ganz aufgeregt und hatten schon rote Wangen, bevor ich überhaupt zu sprechen begann.
»Kennt ihr die Geschichte vom König mit den Krücken?«, fragte ich die Kinder.
»Nein!«, brüllte der ganze Saal.
»Wollt ihr die Geschichte hören?«
»Ja, ja«, riefen alle.
Isabell verfolgte das Schauspiel gebannt. Neben ihr saß der Oberbürgermeister und lächelte zufrieden. Also begann ich zu erzählen.
»Es war einmal ein stolzer junger König, der hatte sich unsterblich in eine Prinzessin verliebt, die hieß Melanie. Sie ritten gemeinsam aus, sie badeten im Teich des Schlosses, sie spielten abends Karten miteinander und sie taten alles, was verliebte junge Leute miteinander tun.«
»Küssen«, schrie ein vorwitziger Knirps aus der zweiten Reihe und die Kinder tobten vor Vergnügen. »Ja, küssen«, riefen sie, »küssen, küssen, küssen!«
Isabell sah mich unsicher an und ich setzte die
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