Mainfall
riss, konnte ich endlich etwas sehen. Der Kellerraum besaß zwar kein Fenster, aber wenigstens ein Oberlicht, durch dessen Schacht etwas Helligkeit hereinfiel. Ich sah das Regal, welches ich mühsam ertastet hatte, ich sah die Reifen und an der vierten Wand eine Kommode, auf der einige Einmachgläser standen. Es war mir klar, dass ich versuchen musste zu fliehen, bevor meine Entführer ihr Geld erhalten hatten und mich womöglich an andere Ganoven auslieferten. Ich begann mit den Armen am Regal zu scheuern, hoffte, dass ich auf diese Weise die Stricke, mit denen sie mich gebunden hatten, durchtrennen konnte. Doch außer dass ich mir dadurch die Arme wund rieb, brachte das wenig Erfolg. Ich versuchte mein Glück an den Felgen der Autoreifen, was jedoch auch nichts nützte. Schließlich stieß ich eines der Einmachgläser von der Kommode. Klirrend stürzte es zu Boden und die Scherben lagen im Saft der Zwetschgen, die zuckersüß am Boden klebten. Ich trug mit dem Mund eine etwas größere Scherbe zu den Autoreifen, klemmte sie in die Felge und daraufhin gelang es mir, meine Fesseln an den Armen durchzuscheuern. Zwar hatte ich mir dabei auch die Arme ziemlich aufgerissen, aber das war jetzt alles egal. Hauptsache, meine Hände waren frei und ich konnte entkommen. Nach stundenlanger Arbeit gelang es mir, das Schloss der Kellertür aufzubrechen, und ich schlich gespannt die Kellertreppe nach oben.
Es war ein Holzhaus, in dem sie mich gefangen hielten, stand ganz allein im Wald und war nur über einen Waldweg zu erreichen. Vielleicht war es früher das Haus eines Försters oder Jägers gewesen, vermutete ich. Ich brach auch das Schloss der Haustür auf und war froh, als ich endlich vor dem Häuschen im Wald stand.
Jetzt aber nichts wie weg hier, ermahnte ich mich. Ich eilte durch den Wald, erreichte eine Landstraße und gelangte von dort per Anhalter nach Babenhausen, einem größeren Ort in der Nähe.
5
Von Babenhausen fuhr ich mit dem Zug nach Aschaffenburg zurück. Ich war unruhig, ängstlich und hoffte, nicht auf einen dieser Ganoven zu treffen, die mich entführt hatten. Oskar schlief auf meinem Regenmantel neben mir. Für ihn schien alles wieder okay zu sein, nachdem ich beim Bahnhofskiosk eine Rindswurst gekauft und er etwas davon abbekommen hatte. Gleich am Aschaffenburger Hauptbahnhof meldete ich mich bei der Bahnpolizei und bat darum, mit Kommissar Rotfux sprechen zu dürfen.
»Rotfux«, meldete sich der Kommissar, sowie der Beamte die Verbindung zu ihm hergestellt hatte.
»Ich bin entführt worden, Herr Kommissar«, sagte ich und berichtete ihm kurz.
»Das ist ja interessant«, bemerkte Rotfux. »Ich lasse Sie sofort holen. Bleiben Sie bei den Beamten. Entfernen Sie sich auf keinen Fall vom Bahnhof.«
Es fiel mir auf, dass er sehr begeistert klang. Er hatte nicht gesagt: ›Das ist ja schrecklich‹, oder: ›Das tut mir aber leid‹, sondern: ›Das ist ja interessant.‹ Ich konnte mich des Gefühls nicht erwehren, dass ich damit zu einem noch faszinierenderen Fall für ihn wurde.
So saß ich wenig später auf dem Rücksitz eines Polizeiautos neben einem älteren Kollegen, so um die 50, der mich und Oskar neugierig musterte.
»Wir haben Sie schon im Aussiedlerheim gesucht, aber Sie waren bisher wohl nicht dort?«
»Ja, das stimmt, es war mir irgendwie unangenehm«, antwortete ich.
»Der Kommissar erwartet Sie dringend«, erklärte mir der Polizist, »er hatte ohnehin noch ein paar Fragen an Sie.«
Wir fuhren über den Main, erreichten bald das Gebäude der Kriminalpolizei, betraten es durch die Sicherheitsschleuse am Eingang und fuhren mit dem Aufzug in den ersten Stock.
»Herein!«, rief Rotfux, als die Beamten an sein Zimmer klopften. Er trug wieder einen gelben Pulli wie im Krankenhaus. »Na, wie geht es Ihnen?«, begrüßte er mich freundlich und streckte mir seine Hand entgegen.
»Nicht so gut«, sagte ich. »Ich hatte höllische Angst und bin jetzt noch ganz fertig.«
Dann sah Rotfux meinen Hund. »Oh, einen Dackel haben Sie auch schon? Wo haben Sie den denn aufgegabelt?«
»Es ist eher umgekehrt«, antwortete ich, »er hat mich aus dem Main gerettet.«
Rotfux wurde hellhörig. »Aus dem Main gerettet …? Aber es war doch kein Hund da, als man Sie aus dem Wasser gezogen hat …«
Also blieb mir nichts anderes übrig, als ihm zu erzählen, dass mich der Main magisch angezogen hatte, dass ich ins Wasser gehen wollte, vom Main meinen Namen wissen musste, und dass nur Oskar mich vor
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