Mainfall
ins Regal stellte, und rot leuchtete ihr Mund, als sie zu mir herübersah und lächelte. Aus diesem Grund fasste ich mir ein Herz. Ich nahm allen Mut zusammen und ging in ihre Richtung. Sofort wandte sie sich mir zu.
»Sie haben ja einen süßen Dackel«, sagte sie und beugte sich zu Oskar hinab. Dabei blitzten ihre makellos weißen Zähne wie die Perlen einer Kette zwischen ihren dunkelroten Lippen. Oskar wedelte mit dem Schwanz und begann freudig zu bellen.
»Nein, Oskar, nein!«, schimpfte ich und nahm ihn schnell auf den Arm. »Du kannst hier nicht bellen.«
Dann wandte ich mich wieder der dunkelhaarigen Verkäuferin zu. »Ich wollte Sie fragen …«, setzte ich an und hielt auf einmal schüchtern inne.
»Ja, bitte?«, munterte sie mich auf, meine Frage auszuformulieren.
»Es würde mich interessieren …«, druckste ich herum, »… es würde mich interessieren …, ob Sie mich …«
»Ja?«, ermunterte sie mich wieder.
»… es würde mich interessieren, ob Sie mich kennen.«
Jetzt war es heraus. Gott sei Dank, ich hatte sie gefragt.
Etwas ungläubig und verlegen sah sie mich an. »Ob ich Sie kenne?«, wunderte sie sich. Sie schien meine Frage nicht zu verstehen. »Ich weiß nicht, wie Sie das meinen«, sagte sie und errötete leicht. »Ich kenne Sie von vorgestern, da wollten Sie einen Stadtplan.« Sie sagte das sehr leise, als wäre es ein Geheimnis zwischen uns beiden. Dann kam sie ganz nahe zu mir heran. »Und? Haben Sie einen bekommen, bei der Volksbank oder der Sparkasse?«
Ich roch wieder ihr Parfum, sah ihre dunklen Augen, spürte ihren Atem, so nah war sie mir gekommen, und brachte vor Aufregung keinen Ton heraus.
»Haben Sie einen …?«, flüsterte sie nochmals und lächelte.
»Ja, danke«, antwortete ich, obwohl das gar nicht stimmte. Ich konnte schlecht sagen, dass ich in Wirklichkeit gar nicht mehr an den Stadtplan gedacht hatte, dass ich nur mit meinem fehlenden Namen beschäftigt war, dass ich bei Christus in der Stiftskirche geschlafen hatte, dass ich inzwischen entführt worden war und dass ein Stadtplan eigentlich ziemlich unwichtig für mich war.
»Na, dann ist es ja gut«, freute sie sich. »Und wie kann ich Ihnen jetzt helfen?«
›Nimm mich in den Arm und küsse mich‹, hätte ich am liebsten gerufen, aber das ging natürlich nicht. Ich sehnte mich nach etwas Liebe und Geborgenheit in dieser Stadt, in der mich der Main ausgespuckt hatte wie einen faulen Köder. Ich spürte die Coladose in meiner Manteltasche, mir fiel mein zerknautschter Mantel ein, ich fuhr mir verlegen mit der linken Hand über meine Bartstoppeln und fügte nur ganz kleinlaut an: »Entschuldigen Sie, ich weiß auch nicht, was ich möchte. Ich muss es mir nochmals überlegen.«
»Aber sicher doch«, sagte sie, so als ob sie gar nichts aus der Ruhe bringen könnte. Sie verbeugte sich, trat wieder ein paar Schritte zur Seite und setzte die Arbeit an ihrem Bücherregal fort.
Idiot! Idiot! Idiot!, hämmerte es hinter meiner Stirn. Wie konnte ich nur so blöd sein?
Enttäuscht über mich selbst, verließ ich mit Oskar den Buchladen und das Einkaufszentrum. Quer durch die Gassen der Altstadt erreichte ich das Schloss.
Mehr und mehr beschäftigte ich mich den ganzen Tag über mit dem Gedanken, tatsächlich im Gästezimmer von Ulrich Brenner zu übernachten. Schließlich hatte er mich fast flehentlich darum gebeten, sein Angebot anzunehmen. Und andere Möglichkeiten hatte ich kaum noch, da ich dem Kommissar die Adresse von Brenners als Domizil angegeben hatte. Deshalb besuchte ich am Nachmittag das Anwesen im Bessenbacher Weg. Ich ging zunächst unauffällig auf der gegenüberliegenden Straßenseite entlang und beobachtete den Bungalow von Ulrich Brenner. Es war ein Flachdachbungalow, der einzige Flachdachbungalow in der Gegend. Weiß gestrichen, hellgraue Rollläden, große Garage links vom Haus, Ziersträucher beiderseits des Zugangsweges, der seitlich am Haus vorbei zum Eingang führte, den man von der Straße nicht sehen konnte. Ob jemand da war? Zu entdecken war keiner. Vielleicht besuchte Frau Brenner ja ihren Mann im Krankenhaus? Oder sie war einkaufen …
Ich überquerte die Straße. Dann stand ich vor dem Tor zum Eingang und sah die beleuchtete Taste für die Klingel. ›Brenner‹ war dort zu lesen.
Ich schaute an mir herunter, sah meine schmutzigen Schuhe, denen ihr Bad im Main immer noch anzusehen war, meinen zerknitterten Anzug, meinen zerknautschten Mantel mit Hundefutter in den
Weitere Kostenlose Bücher