Mainfall
übernachten könnten, aber ich habe es, ehrlich gesagt, nicht ganz für ernst genommen. Ulrich macht manchmal seltsame Vorschläge. Er will immer jedem helfen, und das in seinem Zustand.«
»Ach so«, gab ich kleinlaut zurück, »ich will Ihnen natürlich nicht zur Last fallen.«
Ich muss sehr enttäuscht geklungen haben, denn im nächsten Augenblick sprang sie auf und entschuldigte sich. »Nein, Herr … äh, … so habe ich das nicht gemeint. Wenn Sie Ulrich eingeladen hat, können Sie natürlich zunächst mal bleiben.«
»Mama!«, rief es im selben Augenblick aus einem Zimmer im hinteren Teil des Hauses.
»Entschuldigung, unser Paul braucht Hilfe bei den Hausaufgaben, ich komme gleich wieder.«
Brenners Frau wirkte auf mich gehetzt, gehetzt von den Kindern, gehetzt von der Klinik, gehetzt wahrscheinlich auch von ihrem Job im Buchladen und im Moment sicherlich auch von mir.
Ich stand auf und ging zum rückwärtigen Fenster des Wohnzimmers. Man sah direkt auf einen Walnussbaum. Drei riesige Tannen wuchsen auf der Grenze zum Nachbargrundstück in die Höhe, Haselnusssträucher kämpften mit wildem Flieder um den Raum, alles war ziemlich verwildert.
»Oh, da dürfen Sie nicht so genau hinsehen«, entschuldigte sich Frau Brenner, als sie wieder ins Wohnzimmer kam. »Wir kommen momentan zu nichts mehr.«
»Das ist doch kein Problem. Ihr Mann meinte, ich könne Ihnen vielleicht im Garten helfen.«
»Ja, mein Ulrich«, seufzte sie, »der gute Ulrich hat immer die verrücktesten Ideen.« Einen Moment lang hatte sie dabei gelächelt und ich stellte wieder fest, wie schön sie war.
6
Als ich etwa eine halbe Stunde später mit Isabell Brenner das Haus verließ, um ihren Mann im Klinikum zu besuchen, hatte es angefangen zu regnen. Der Wind peitschte die Tropfen gegen die Frontscheibe ihres VW Passat, als wir von der Holbeinstraße in Richtung Klinik abbogen. Die Wischerblätter schafften die Wassermassen kaum. Frau Brenner hatte das Lenkrad fest umklammert, saß leicht gebeugt und mit zusammengekniffenen Augen da und starrte durch die Windschutzscheibe, die im Moment ihren Namen wirklich verdiente.
»So ein Sauwetter«, seufzte sie, als auch noch ein Donnerschlag die Luft zerriss.
»Ja, scheußlich«, sagte ich. Mir war unwohl auf dem Platz von Ulrich Brenner. Irgendwie hatte ich das Gefühl, ihn verdrängt zu haben, und konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass selbst der Himmel darüber schimpfte. Auf dem Parkplatz half ich Frau Brenner aus dem Auto und hielt ihren Schirm, so gut es ging, über sie. Der peitschende Regen erwischte uns allerdings voll von der Seite. Da half kein Schirm. Fast waagerecht kam uns der Regen entgegen, sodass wir froh waren, als wir endlich die Eingangshalle des Klinikums erreicht hatten.
»Puh«, schüttelte sich Frau Brenner. »So ein Wetter habe ich schon lange nicht mehr erlebt.« Sie verschwand auf der Besuchertoilette und kam wenig später mit frisch gekämmten Haaren wieder zurück.
Als wir kurz darauf das Krankenzimmer von Ulrich Brenner erreichten, sagte ich: »Gehen Sie nur vor«, und war eigentlich froh, mich ein wenig hinter Ulrichs Frau verstecken zu können. Umso mehr wunderte Ulrich sich, als ich plötzlich hinter Isabell Brenner auftauchte.
»Na, das ist ja eine Überraschung«, freute er sich. »Seid ihr zusammen gekommen? Wohnst du schon bei uns, mein Lieber?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, noch nicht«, sagte ich und ergänzte, dass ich unbedingt zuvor noch mit ihm sprechen wolle.
»Sprechen, sprechen«, brummte er. »Ich habe es dir angeboten und das gilt.« So schwach er auch war, es lag sehr viel Nachdruck in seiner Stimme. Ganz besorgt war er um mich. »Selbstverständlich kannst du bei uns wohnen«, betonte er noch mehrmals. »Gib ihm ruhig Wäsche von mir«, forderte er Isabell auf, »meine Jeans werden ihm sicher passen. Seit ich so aufgedunsen bin, kann ich sie sowieso nicht mehr anziehen.«
Er schien sich richtig zu freuen, dass ich bei ihm ins Gästezimmer einzog. »Du kannst Isabell unterstützen«, sagte er. »Sie hat es schwer, so ohne mich.«
Isabell nickte nur und lächelte abwechselnd ihn an und dann wieder mich, so als ob sie jedes seiner Worte unterstreichen wollte.
Nach der Rückkehr aus der Klinik zeigte mir Isabell das Gästezimmer. Es war einer der beiden Räume zur Straße und lag direkt neben dem Gästebad. Für Oskar hatten die Kinder bereits eine Schlafecke eingerichtet.
»Er kann sich in mein altes Kissen
Weitere Kostenlose Bücher