Mainfall
natürlich radikal geändert. Deshalb war ich froh, dass Brenners für eine Weile blieben.
Am Abend wollte Isabell nochmals zum Friedhof.
»Das Grab wird jetzt geschlossen sein«, sagte sie. »Ich möchte gern hin und sehen, wie es mit den Kränzen aussieht.«
Sie sah mich auffordernd an und ich wusste, was das bedeutete.
»Geht nur«, sagte ihre Schwiegermutter, »wir bleiben bei den Kindern.«
Also fuhren wir zum Altstadtfriedhof und besuchten Ulrichs Grab, das ziemlich weit vom Eingang entfernt in Richtung der alten jüdischen Gräber lag. Es wurde bereits dämmrig und Isabell hakte sich bei mir unter. »Ich finde es unheimlich bei Dunkelheit auf dem Friedhof«, sagte sie und drängte sich etwas dichter an mich.
»Aber du wolltest doch hierher«, antwortete ich.
»Ja, schon, wegen Ulrich. Aber ohne dich würde ich vor Angst sterben.«
Wir gingen am Kriegerdenkmal vorbei, durchschritten die Reihen der Gedenksteine, die dort wie angetretene Soldaten standen, die Trauerbirken wölbten ihr zartgrünes Blätterdach über uns, dann wendeten wir uns nach links um eine Hecke herum und standen vor Ulrichs Grab. Es war geschmückt mit einem Berg von Kränzen.
»Schön sieht das aus«, sagte Isabell, »so hat er in der Nacht wenigstens etwas Schutz vor der Kälte.«
Im nächsten Augenblick stieß sie mich in die Seite. »Da, sieh mal.«
Jetzt entdeckte ich es auch. Ganz oben auf dem Grabhügel lag ein Kranz mit blutroten Rosen und einer schwarzen Schleife, auf der geschrieben stand: ›Wir kriegen dich!‹
Unwillkürlich zuckte ich zusammen, sah mich in alle Richtungen um und duckte mich. Ich hatte Angst. Nicht vor der Dunkelheit, sondern vor meinen Verfolgern.
»Komm«, sagte ich nur und zog Isabell in Richtung Friedhofsausgang. So schnell hatte ich einen Friedhof noch nie verlassen. Wir hasteten am Kriegerdenkmal vorbei, sahen den geöffneten Flügel des schweren Metalltores am Eingang, die Friedhofsgärtnerei auf der gegenüberliegenden Straßenseite und das Grab von Clemens von Brentano, das ich mir am Nachmittag im Vorbeigehen angesehen hatte. Wir rannten zum Passat, Isabell entriegelte, wir stiegen ein und rasten los. Die Straßen waren um diese Zeit leer. Ich sah mich um und bemerkte, dass uns ein dunkelblauer Mercedes folgte.
»Gib Gas!«, trieb ich Isabell an.
Sie donnerte um den Kreisverkehr an der Wermbachstraße, hinauf zur Sandkirche, hinein in die Fußgängerzone, quer durch den Roßmarkt, am Herstallturm rechts hinein in den Schöntal Park. Das war natürlich verboten, aber jetzt egal. Über die gekiesten Wege raste der Passat am Ententeich vorbei durch die Parkanlage. Einige der Vögel flogen auf, die eine solche Höllenfahrt sicher noch nie erlebt hatten. Isabell fuhr kaltschnäuzig. Sie hatte das Lenkrad fest umklammert und behielt die Richtung selbst dann bei, als sie am Ende des Parks ein Stück über die Wiese fuhr, um den Zugang zur Hofgartenstraße zu erwischen, der normalerweise nur für Fußgänger gedacht war.
»Ich kann sie nicht mehr sehen!«, rief ich. »Wir haben sie anscheinend abgehängt.«
Isabell raste trotzdem weiter. Durch die Lindenallee, dann die Ludwigsallee, den Berg hinauf Richtung Klinikum, über rote Ampeln und natürlich viel zu schnell.
»Was machst du? Wo fährst du hin?«, wunderte ich mich.
»Zum Klinikum.«
»Und was soll das?«
»Dort sind wir sicher.«
»Zieh den Parkschein«, rief sie, als wir die Zufahrt zur Klinik erreichten.
Erst direkt vor der Notaufnahme machte sie halt.
»Ich wollte nicht nach Hause, hatte Angst , dass den Kindern etwas passiert«, sagte sie, als wir ausstiegen. »Hier in der Klinik kann uns nichts passieren. Wir müssen erst den Kommissar benachrichtigen.«
Am Empfang des Klinikums riefen wir Rotfux an.
»Herr Kommissar, es ist etwas Seltsames passiert«, sagte ich zu ihm und erzählte ihm die Geschichte.
»Sie haben richtig gehandelt, als Sie in die Klinik gefahren sind. Ich schicke einen Streifenwagen, der Sie abholt. Ihr Haus und den Friedhof werden wir auch überprüfen. Vielleicht lässt sich ja feststellen, woher der Kranz stammt.«
Am nächsten Sonntag arbeitete ich nach der 14-Uhr-Audienz in meinem Turmzimmer. Ich hatte mich an die Besucher gewöhnt, die sich an meinem Arbeitsplatz vorbeischoben.
»Da sitzt der König«, hörte ich die Kinder begeistert flüstern.
»Ja, leise, sonst störst du ihn«, sagten dann die Eltern oder Großeltern und zogen die Kleinen weiter.
Am späten Nachmittag roch ich
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