Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)
breitbeinig nach vorne durchmarschieren, sitzen schon im weichen
Sessel und schauen die Werbung, während ich wieder nach Hause gehe, weil die Vorstellung
ausverkauft ist. Für die Lauten, die Unreflektierten steht außer Frage, dass
die Welt sich nur um sie dreht. Wie sehr ich sie hasse. Wie sehr ich sie
beneide. Wie froh ich bin, nicht wie sie zu sein. Ich habe den Ton abgedreht, höre
keine Stimmen, aber im Augenwinkel sehe ich, wie Frau Janssens Kiefer sich
bewegt, wie bei einem Skelett, das mit seinem lippenlosen Mund nach mir
schnappt. Die Knochen klappern, was mir unglaublich auf die Nerven geht. Wenn
ich noch länger hier sitze, muss ich mir auch einen toten Pudel als Hut
besorgen, und helfen, Frau Janssens Kadaver zu entsorgen. Berlucci, dieser
weich gespülte Frauenversteher! Das Ganze ist doch ein Komplott! Da –wie
verschwörerisch die beiden sich zunicken.Plötzlich scheint die Zeit zu
schmelzen.
Ihr seid nur Staubkörner,
zerrieben zwischen den Zahnrädern der Wirklichkeit.
Tote Hüllen von Augensternen,
die beim Wiedereintritt in die Atmosphäre verglüht sind wie aus dem Orbit
geworfene Satelliten.
Sand, der die Uhr hinab rieselt,
die befüllt ist mit den gemahlenen Knochen der Feen eurer Jugend.
Das dämonische Grinsen verrät
euch. Ich kenne euren Plan! Ihr seid wertlose Zeitdiebe! Von eurer Sorte gibt
es Tausende. Vielleicht Millionen. Ihr versperrt Wege. Ihr lauert auf Straßen
und in dunklen Ecken. Ihr verneint jeden neuen Gedanken. Ihr saugt mir die
Jugend aus dem Körper. Nagt mir das frische Fleisch von den Knochen. Weil ich eine
Zukunft habe, ertragt ihr mich nicht. Weil mir die Welt gehört, rast ihr vor
Eifersucht. Ihr hattet eure Chance! Hört Ihr mich? Ihr hattet eure Chance! Weg
da!
„Können Sie mir nicht einfach diesen
beschissenen Prospekt geben?“, platzte ich heraus.
Stille.
So bekommt man Hausverbot im
Reisebüro.
Ich schließe die Tür auf und gehe
in die Küche. Das Essen steht auf dem Tisch, meine Mutter sitzt mit Trauermiene
da. Hier stimmt was nicht. Ich hänge meine Jacke an die Garderobe im Flur und
setze mich zu ihr. Das Essen ist kalt, aber ich sage lieber nichts.
Normalerweise fragt Mama mich, wie es in der Schule war.
„Frau Becker hat angerufen“, sagt
sie.
Ich zögere, und die Erbsen kullern
mir von der Gabel. Verdammt!
„Hast du Timm ins Gesicht
geschlagen?“
Mit einem Seufzer lege ich das
Besteck ab. Wie sie das so sagt, komme ich mir plötzlich sehr primitiv vor. Nein,
ich habe ihm voll in die Fresse gehauen, wäre die richtige Antwort. Aber
nicht die Schlaueste. Ich nicke nur und starre durch das Fenster raus in den
Garten.
„Wieso muss ich die alten Klamotten
von diesem Penner auftragen?“, frage ich.
„Das solltest du gar nicht wissen“,
erwidert sie.
Na, das macht es ja viel besser.
„Timm wusste es“, sage ich, und es
klingt für mich fast wie eine Legitimation für meine Tat.
Ich könnte erwähnen, dass Timm mich
gerade mit zwei seiner Schergen halb tot prügeln wollte. Aber dafür bin ich zu
stolz und fühle mich ein wenig wie Robin Hood, weil ich so selbstlos bin.
Vielleicht bin ich auch nur ein Spinner.
„Du wirst dich bei Timm
entschuldigen. Ich weiß manchmal nicht mehr, was wir noch mit dir machen
sollen.“
„Du könntest aufhören, mich zu
belügen.“
Es rutscht mir raus, bevor mein
Gehirn wusste, was mein Mund vorhat. In anderen Familien würde so ein Gespräch
mit einem „Warte nur, bis dein Vater nach Hause kommt“ enden. Aber nicht bei
uns. Ohne hinzusehen, weiß ich, wie meine Mutter jetzt guckt. Ich kann es nicht
ertragen, wenn sie enttäuscht von mir ist.
Ich erledige meine Hausaufgaben
halbherzig. Dann suche ich das Weite. Meine Mutter ist auch fort, ich weiß
nicht wohin. Wir sprachen nicht mehr miteinander seit dem Mittagessen.
Am frühen Nachmittag treffen meine
Freunde und ich uns auf dem Spielplatz. Jeden Tag. Punkt. Das ist so selbstverständlich,
dass wir es in der Schule nicht mal mehr verabreden. Der Spielplatz liegt
versteckt zwischen alten Fichten, die auf dem Nachbargrundstück wachsen, und
der Grundschule. Es ist ein strategisch guter Ort. Wir sind dicht beim Büdchen,
wo es wahlweise Wassereis oder Zigaretten gibt. Nicht weit weg vom Ortskern,
aber trotzdem unter uns. Kaum Laufpublikum. Gegenüber steht die Feuerwehr an
der alten Landstraße, wo uns Sportlehrer Herr Hahn oft entlang jagt und uns
unterstellt, wir würden zu viel rauchen, weil wir so japsen. Wenn die
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