Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)
Undercoverkind. Aber ein
bisschen Wind von vorne ist bestimmt gut für die Charakterbildung.
„Wieso bist du eigentlich so ein
Arsch“, frage ich Martin nicht unfreundlich.
Heiner nimmt die Vorlage dankbar
auf.
„Ja, wieso bist du eigentlich so ’n
Arsch?“, blökt er.
Und schon ist Revolution, werden
die zugeteilten sozialen Rollen infrage gestellt. Herrje, ist das einfach.
Martin schaut überrascht von einem
zum anderen.
„Ist ja schon gut“, rudert er
zurück.
„Geht doch“, sage ich und wende
mich an Claudia:
„Wen lädst du denn ein?“
„Wozu einladen?“, fragt Jörg. Er
riecht nach Rauch, setzt sich auf den freien Platz. „Fete?“, fragt er.
Claudia erklärt es ihm.
„Geil!“, findet Jörg. „Die ganze
Clique muss kommen. Alle vom Spielplatz. Auch unser Michael Jackson hier.“ Er
schubst mich lachend.
Michael Jackson? Das drückt meinen
inneren Gefällt mir-Button . Ich fühle mich von Jörg respektiert.
Nori, du Kindskopf! Kommt es
darauf wirklich an?
Die 8a macht soviel Lärm, dass die
Paviane auf ihrem Felsen verstört innehalten und über den Graben zu uns rüberglotzen.
Wer beobachtet hier eigentlich wen?
Klaus tut so, als wolle er Claudia
in den Graben stoßen. Thomas tut so, als würde er Klaus dafür verprügeln. Martin
tut nichts, außer seine Krücken schwingen und Jörg verzieht sich, um heimlich
zu rauchen. Wenigstens tut er nicht nur so.
Die braven Mädchen, die Dorotheas
mit ihren süßen Ringelsöckchen und Hochwasserhosen, die Messdienerinnen und
Pfadfinderinnen betrachten verstohlen die von den Pavianmännchen bereitwillig
präsentierten Genitalien.
Ich sitze auf einer Bank und esse
eine Milchschnitte, als Bettina von hinten über die Lehne klettert, und sich
mit einem Seufzer neben mich setzt. Sie umschlingt ihre Beine mit den Armen,
legt den Kopf auf ihre Knie und grinst mich an:
„Langweilig, oder?“
Ich nicke und kaue. Ihr Zauber ist
zurück. Sie fischt eine Bürste aus ihrem Beutel, wirft den Kopf nach vorn und
beginnt, wild ihr Haar zu toupieren.
„Was du da vorhin im Bus gesagt
hast“, sagt sie wie beiläufig. „Du weißt schon!“ Sie hält inne und schaut sehr
ernst drein. „War das nur Spaß, oder hast du das ernst gemeint?“
Schwer schlucke ich den letzten
Bissen herunter. Ich spüre, dass sie erst wegschauen wird, wenn ich geantwortet
habe. Ist sie das, die neu geschriebene Zukunft? Diese Szene gab es nicht in
der Originalversion meines Lebens. Stumm danke ich dem Regisseur, dem
Produzenten und dem Cutter in seiner Heiligen Dreifaltigkeit. Doch noch etwas
ist anders. Ich halte ihn aus, den Blick ihrer braunen Augen. Aber ich bin
nicht hier, um Mädchenherzen zu brechen. Es erscheint mir sogar falsch, das zu
tun. Ich bin hier, um Dinge gerade zu rücken. Aber mich überkommt das
unbestimmte Gefühl, dem kleinen Nori etwas zu schulden. Und hey, ich bin erst
dreizehn; so wie sie. Wir sprechen ja nicht gleich vom Heiraten. Und so gibt es
hier und heute nur eine richtige Antwort:
„Todernst!“
Einen winzigen Augenblick lang sehe
ich ein nervöses Flackern in ihren starken Augen. Meine Offenheit überrascht
sie. Aber sie schaut nicht weg, und ich auch nicht. Dann grinse ich, und sie
nickt und schiebt anerkennend die Unterlippe vor.
„Hut ab, Nori. Aus dir wird ein
toller Kerl.“
Und dann küsst sie mich
blitzschnell auf die Wange, springt auf und läuft davon. Ich will noch etwas
sagen, will ihr hinterher, als die Paviane plötzlich mit Fäkalien werfen. Die
8a zerstreut sich panisch in alle vier Himmelsrichtungen.
Auf der Rückfahrt ist es ruhig im
Bus. Angenehm ruhig. Wie kam es bloß dazu, das sie neben mir sitzt? Bettinas
Kopf liegt an meiner schmalen Schulter. Er ist ganz leicht. Ich sitze starr,
damit keine meiner Bewegungen sie weckt und dazu bringt, ihn wegzunehmen. Ihre
Haare kitzeln meine Wange und mein Ohr. Sie riechen nach Haarspray, Apfelshampoo
und Unschuld. Unschuld – nichts beschreibt diesen Moment besser als dieses
Wort. Mir ist, als würden sich mein Verstand, meine Gefühle, mein ganzes Ich
langsam meinem kleinen Körper angleichen. Als wäre sein Füllvermögen zu gering,
um den alten, den erwachsenen Nori ganz in sich aufzunehmen. Wie eine überlaufende
Badewanne. Ich hoffe inständig, dass nur die richtigen Informationen verloren
gehen werden.
Von der Bank hinter uns höre ich
unterdrücktes Gekicher. Ich ahne Böses, und ich soll recht behalten. Denn schon
kriecht der schmutzige Gummifuß von Martins
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