Makroleben
Sinn auf uns zutrifft, daß unsere zukünftigen Regierungen nicht, durch Zufall oder irregeleiteten Vorsatz, die Freiheit an sich reißen werden, die die Menschheit in der Geschichte durch ihre Arbeit für uns geschaffen hat. Ich hoffe, Sie leben in einer Gesellschaft, die die Kreativität und den guten Willen ihrer Mitglieder nicht wegnimmt, sondern empfängt. Ein weiterer Punkt fällt mir ein. Menschliche Geschichte wird von grundsätzlichen Entwicklungen vorangetrieben, die zu oft mißverstanden werden. Ich gehe für den Augenblick davon aus, daß das Makroleben auch in Ihrer Zeit davon keine Ausnahme ist. Die grundsätzliche Entwicklung, die am häufigsten mißverstanden wird, ist die Einschätzung einer Elite und ihrer Funktion. Unsere großen Begabungen teilen die Menschen nie in höher oder niedriger Stehende, in Gewinner und Verlierer, auf. Dem Begabten kommt die Funktion zu, mit normalen Menschen zusammenzuarbeiten, mit jenen, die Verbraucher sind und Fertigkeiten und Kenntnisse brauchen, die würdigen und verstehen können, aber vielleicht nicht zu originärer Eigenproduktion in der Lage sind und mit denen die Talentierten eine gemeinsame Menschheit teilen. Vielleicht gehe ich zu weit, wenn ich hoffe, daß eines Tages alle unsere Bürger zu Hochleistungen imstande sind und daß das, was in einer früheren Gesellschaft als Talent galt, in einer späteren lediglich normal ist. Es ist die Funktion der Starken, den Schwachen zu helfen, und der Kenntnisreichen, ihre Kenntnisse zu verbreiten. Autoren schreiben für die, die es nicht tun, Sänger singen für Zuhörer. Elitäres Denken ist nach meinem Gefühl die Krankheit von neidischen, mittelmäßig begabten einzelnen, die nicht mehr höher hinauskönnen und sich daher mit Macht oder Ruhm zufriedengeben. Sie haben sich in die wahre Hälfte einer Halbwahrheit verliebt. Ihr Blick ist nicht nach außen auf die Menschheit gerichtet, sondern sie schauen auf sie herab und können nicht wirklich teilen. Sie hassen die, die unter ihnen stehen, und beneiden die über ihnen. Wir können diese Tendenzen bei unseren Kindern auf tausend subtile Arten entmutigen und ihnen beibringen, sich einander in ihren besten Tendenzen, ihren großmütigsten Gefühlen verantwortlich zu fühlen. Diese Tendenzen sind im Grund ebenso real wie jeder vorstellbare externe moralische Standard, weil sie sich aus einer Reihe von Möglichkeiten ergeben, die in unserer biologischen Natur angelegt sind, und zwar so sicher wie das harsche Erbe aus dem Kampf der Evolution. Die Ideale des Makrolebens müssen in jedem einzelnen mit einer bisher noch nicht dagewesenen Stärke leben. Die Existenz des Makrolebens darf sich nicht in ökonomischen Äußerlichkeiten erschöpfen, obwohl auch ihnen eine gleich hohe Bedeutung zukommt. Das Makroleben wird der Test einer energiereichen Zivilisation sein. Überleben Sie ohne die Peitsche der Not? Sind die inneren Zwänge der menschlichen Natur stärker als die rationale Kortex? Das ist alles, was ich dieses Mal hinzuzufügen habe. Leben Sie wohl.“
Das Hologramm verschwand. Der Schirm ging noch einen Moment lang an, um einige bibliographische Angaben und ihre Signatur zu bringen. Darunter war auch ein Verzeichnis von Samuel Buleros Werken und der biologischen Studien Margot Torens. Danach erloschen die Lichter in der Kabine.
So also, dachte John, hat es am Anfang ausgesehen. Er empfand es als verblüffend, wieviel von diesem Geist noch am Leben war. In Frank, in Margaret, in Rob Wheeler und den Erbauern des neuen Mobils war er stark. Er hatte ihn noch in niemandem sterben sehen, außer in sich selbst.
Er dachte an die Verbindung. Diese Verbindung brachte Margaret, Rob und Frank ein weit zurückreichendes kulturelles Gedächtnis, während er auf das, was er nachschlagen konnte, und auf die Erinnerungen von zwei Dekaden beschränkt war. Die historische Amnesie einer neuen Generation war für sie kein Problem. Für sie ließ sich Makroleben nicht mit einem Begriff fassen. Es war ein Bollwerk gegen Tod, Ignoranz und Vergeßlichkeit, gegen das Chaos, gegen all die Kräfte, die niederreißen und zerstören. Plötzlich spürte er die unendliche Geduld des Makrolebens, das alles zusammenhielt, was er kannte. Blackfriar, Margaret und Rob waren für das Makroleben, weil es sich gegen den Tod von einzelnen, den Tod von Gesellschaften, das Verschwinden von Wissen und Bewußtsein, den Tod der Liebe, der Hochschätzung und der Freude sowie gegen den Tod von Arten und Sternen
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