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Makroleben

Makroleben

Titel: Makroleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Zebrowski
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stand auf, drehte sich vom Fenster weg und sah Sam an. Er schlief auf dem Bauch. Sein Haar sah aus wie eine Maske, die in dem fahlen Licht nach ihr schaute. Plötzlich verspürte sie den Wunsch, ihn umzudrehen und ihm in das Gesicht zu schlagen – um ihm zu sagen, daß sie in die Zukunft geblickt hatte, um zu sehen, welche Art von Leben sie erwartete, und daß es nicht lebenswert sein würde …
     
    „Ist es sicher, daß der Mond erfaßt werden wird?“ fragte Sam in dem Schirmraum. „Vielleicht reicht es nicht so weit.“
    Richard, der hinter Alards Schreibtisch saß, zuckte die Achseln. „So sicher, wie das für praktische Menschen notwendig ist.“ Sam war überrascht darüber, wie leicht Richard es schaffte, einige von den Aufgaben Alards zu übernehmen.
    Der Schirmraum war in den frühen Morgenstunden fast verlassen. Nur ein halbes Dutzend Leute hielten Wache.
    „Ist es möglich, daß das so weit wächst, bis der gesamte Sonnenraum eingeschlossen ist?“ fragte Orton.
    Richard warf die Hände in die Luft, lehnte sich zurück und seufzte.
    „Ich weiß es nicht. Es wächst langsam, aber stetig. Vielleicht hört es auf damit. Vielleicht schrumpft es wieder zusammen und verschwindet aus unserem Raum-Zeit-Kontinuum.“ Er streckte eine Hand zu den Kontrollgeräten auf dem Schreibtisch aus und schaltete die Schirme an.
    Die Erde war von einem schimmernden, eiweißartigen Mantel umhüllt. Mit uhrwerkartiger Regelmäßigkeit blitzten helle Lichtpunkte darin auf.
    „Der Zuwachs im Umfang“, sagte Richard, „kann mit Leichtigkeit von einem Tag zum anderen gemessen werden.“
    „Verdammte Scheiße“, flüsterte Orton neben Sam und zerdrückte in seiner Hand eine leere Zigarettenschachtel. „Die letzten Gauloises, die jemals irgend jemand wieder sehen wird.“
    „Es kann sich nur noch um Wochen handeln, bis der Mond berührt wird“, sagte Richard. „Ich hoffe, daß sich das verbleibende Personal genug Zeit für die Flucht läßt.“
    „Meinst du nicht, daß sie das tun werden?“ fragte Sam.
    „Schaffen müßten sie es – aber ihr müßt daran denken, daß sie zurückbleiben, damit sie retten, was sie können. Sie werden das letzte Schiff mit einer knappen Mannschaft besetzen, nachdem sie alles hineingepackt haben, was sie können. Sie werden die Massenantriebskatapulte dazu verwenden, Container ohne Antrieb in Umlaufbahnen in Richtung Mars zu schleudern. Im Marsbereich werden wir noch jahrelang das Zeug abholen können. Ich hoffe nur, daß sie sich in ihrem Eifer noch selbst genug Zeit lassen oder daß sie sich nicht zu sehr ausdünnen.“
    Sam dachte an Janet, die allein oben in ihrem Zimmer war. Er würde ihr heute wieder ihre Mahlzeiten bringen müssen. Ihr Appetit war nicht gut. Er fühlte ihre Ängste in sich, die zu seinem eigenen Gefühl von Verlust kamen. Nie wieder würde er die Orte sehen, die er als Kind gesehen hatte. Nie würde er all das sehen, was er hatte sehen wollen. Niemanden, den er kannte, würde sie sehen können. Die Sonne würde auf dem Mars kühler sein, die Landschaft auf Ganymed düster und felsig. Allein Asterom bot noch eine gewisse Ähnlichkeit mit der Erde …
    Die Blase schimmerte auf den Schirmen. Die Erde schwamm lautlos darin und kümmerte sich nicht um die Zerstörung, die auf ihrer Oberfläche tobte, wo ein Zeitalter der Ordnung sein Ende fand und eines von Chaos begann.
    Wir werden nicht wieder zum Leben erwachen, dachte Sam. Diejenigen von uns, die überleben, werden im Schatten des Todes stehen, ein kümmerliches Dasein fristen, wenn wir nicht anfangen zu träumen, und zwar bald genug, daß es noch etwas nützt. Er sah Richard an und fragte sich, ob noch effektive Träumer oder gute Träume übrig waren.
     
    Richard saß allein in dem verdunkelten Schirmraum und studierte das vergrößerte Bild des Mondes. Die Städte lagen wie Diamanten in dem grauen Gelände, wie die hellen Lichter eines alten Hauses in der Nacht, in der die Bewohner sich entschlossen haben abzureisen.
    Langsam und stetig vergrößerte sich Asteroms Geschwindigkeit. Der Gesellschaftscontainer bewegte sich aus eigener Kraft auf einer Bahn, die ihn zu einer weiter entfernten Umlaufbahn um die Sonne und zu einem Rendezvous mit dem Mars in sechs Monaten führte.
    Er sah auf das riesige, glitzernde Kraftfeld, in dem die Erde gefangen war. Dann und wann wurden von zufälligen Verzerrungen durch die Decke stark vergrößerte Einzelheiten der Oberfläche sichtbar: ein geisterhafter Blick auf das Meer,

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