Makroleben
ihre Zeit mit Erkundungsgängen in Asterom zu verbringen. Abends pflegte sie ihm dann von den Läden, dem Kunsthandwerk und dem Geschick der Leute bei der Landschaftsgestaltung zu berichten, die die Städte der Hohlwelt bewohnten. Sam hatte das Gefühl, daß der Kontakt mit ihrer wohlgeordneten Welt Janet helfen könnte, und er ermutigte sie dazu, ihm von dem, was sie gesehen hatte, zu erzählen. Er brauchte das in ebenso großem Maß für sich selbst wie für sie, denn das bedeutete ein Gegengewicht zu der Tragödie der letzten Monate. Er mußte sich voll und ganz auf ein neues Leben einstellen und weitreichendere Verpflichtungen als in der Vergangenheit eingehen, um wieder Hoffnung verspüren zu können, das wußte er.
„Ich war heute oben am See“, sagte sie ihm eines Abends, als sie im Bett lagen. „Die Flüchtlinge haben dort eine Zeltstadt aufgestellt. Ein Junge angelte im See. Dann ist sein Vater vorbeigekommen und hat ihm gesagt, er solle damit aufhören. Dann hat er mich gesehen und gefragt, ob ich nicht Janet Bulero sei. Als ich ja sagte, kam er zu mir und stieß mich herum. Leute wie ich seien daran schuld, daß er alles verloren habe, sagte er. Er denkt, die Familie Bulero habe den Krieg angefangen, Sam.“ Sie hatte sich herumgedreht und versucht, ihre Tränen im Kopfkissen zu verstecken. „Ich habe versucht, ihm zu sagen, daß auch wir Flüchtlinge sind, aber er hat mich beschimpft und ist weggegangen.“
„Du solltest besser nicht allein losgehen“, hatte er ihr gesagt. Es war ihm klar, daß noch einige Zeit vergehen würde, bis man genau wußte, wer den Krieg angefangen hatte, aber die Bulerit-Katastrophe hatte sicherlich dazu beigetragen. Bei der Antwort auf die Schuldfrage waren jedoch primäre und sekundäre Verantwortlichkeiten zu berücksichtigen, durch die die Schuld in unterschiedlichem Ausmaß verteilt wurde, wie er sich sagte. Er wußte aber, daß er der gleichen Meinung wie der Mann war, der Janet belästigt hatte. Das Problem hatte jedoch eine unerquickliche Seite: Aller Wahrscheinlichkeit nach waren die Einzelmenschen, die man sich als Verantwortliche aussuchte, stolze Besitzer von Neigungen, wie sie sich in der gesamten Menschheit fanden. Wunderbar, dachte Sam. Demnächst gebe ich noch den Opfern die Schuld an ihrem eigenen Tod.
„Du denkst, er hatte recht, nicht wahr?“ fragte Janet.
Die Antwort darauf war er ihr schuldig geblieben. Später hatte er sich überlegt, daß er etwas hätte sagen müssen, ganz gleich, wie hart es sich angehört hätte. Eine freie Aussprache war besser als eine erdrückende Stille.
In der Zwischenzeit versuchten Alards Physiker zusammen mit Richard, der Anomalie, die die Erde verschlang, einen Sinn abzugewinnen. Sam stellte sich vor, wie seltsame elektrische Stürme über den Nachthimmel tobten, wie in Fetzen bekleidete Überlebende in den Ruinen kauerten, voll von namenlosem Entsetzen über die bebende Erde und den irrsinnigen Himmel. Irgend etwas hatte die Erde verschlungen, wie ein Frosch, der eine Fliege verschlingt. Die Erde lag nun tief im Bauch eines anderen Universums …
Und die Blase wurde ständig größer und zwang Alard dazu, sich auf eine Verlegung von Asterom in eine Umlaufbahn um die Sonne vorzubereiten.
„Kurz bevor ich geflohen bin“, sagte Richard, „hatten wir schon eine Vermutung darüber, was sich abspielte.“ Er räusperte sich und sah sich in der Versammlung um. In der Halle waren etwa fünfzig Menschen verteilt, schätzte Sam. Der größte Teil der Stühle war leer; aus irgendeinem Grund kamen gegen Ende der Woche immer weniger Leute.
„Könntest du für uns zusammenfassen, was bis jetzt bekannt ist?“ fragte Alard.
„Bulerit gehorcht seinen eigenen Gesetzen“, sagte Richard laut. „Wir hatten gedacht, wir hätten eine stabile Substanz hergestellt.“ Sam war von dem „wir“ verblüfft, weil Richard an der Entwicklung oder Herstellung des Familienelements keinen Anteil gehabt hatte. „Wir wußten, daß darin eine Menge Energie eingeschlossen war, die ihm seine Stärke gab, aber wir haben nicht bemerkt, daß das Zeug ein Prozeß ist, bis es die Grenzen erreicht hatte.“ Sam lauschte der bekannten Erklärung und sah sich wieder in den Implikationen gefangen. „Wir sind nun der Meinung“, sprach Richard weiter, „daß Bulerit stark ist, weil es Energie absorbiert. Jede Art davon – kinetische, in der Form von darauf treffenden Luftmolekülen, Erdbeben, Sonnenlicht, kosmische Strahlung, jegliche Art von
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