Mal Aria
Ruhepunkte in den Straßen waren die
Porteiros
. Sie standen vor ihren Höhlen, den Wohnhäusern, bewachten ihre Eingänge. Jedem, der vorüberging, starrten sie nach – gleichgültig oder lüstern. Sie gehörten ein bisschen nach drinnen und ein bisschen nach draußen. Seltsame Zwischenwesen.
Als ich ihr Apartmenthaus erreichte, hatte ich den Plan. Ich konnte mich ihnen nicht nähern, aber ich konnte ihnen das Wort, um das es ging, übermitteln, in Form einer Botschaft. Natürlich konnte ich dabei keine Hand in der Luft schraubend drehen, wie es die Cariocas taten, selbst mein ganzer dreigeteilter Leib würde nicht für genug Aufmerksamkeit sorgen. Es musste etwas anderes sein … Das Licht im Schacht verdunkelte sich, die Tür zuckelte von links nach rechts. Ihr Gesicht verbarg sie im Schulterblatt ihres Freundes.
*
Unter dem Schild »Notaufnahme« prangten vier goldene Sterne. Früher war das Gebäude ein Luxushotel, erzählte der Taxifahrer, nun gehörte das Copa D’or zu den besten Krankenhäusern der Stadt, europäische Klasse.
I would like to thank the academy
. Plastikschalen in Reihen, alles besetzt. Links von ihr ein Mann mit schlaffem Arm, rechts eine ältere Dame, die ständig zu jemandem in ihrem Telefon »Ich versteh das, ich versteh das« sagte. Auf einem Plakat eine Zielscheibe, darüber die Worte: »Vorsicht Dengue!« Der Nullgeruch der Klimaanlage. Das etwas zu laute Lachen, das Durchatmen, das eher ein Pusten war, das Nägelkauen, unterbrochen von dem Verlangen, etwas zu hören, etwas zu sehen, etwas Einordnendes, etwas zur Beruhigung, ein Summton, ein A, B, C, D oder E auf der digitalen Anzeigentafel, das einem den Weg wies.
Formulargekritzel auf ihren Knien. Die Schmerzmittel hatten nicht gewirkt. Wie auch. Irgendwo schrie ein Kind. Irgendwo schreit immer ein Kind, das ist gut für eure Empathie. Draußen fuhr ein weißer VW -Bus rückwärts bis zum Gebäude. Türen öffneten sich. Jemand schob aus einer Luke des Krankenhauses vor den Augen der Gesundwerdenwollenden einen Sarg in den Bus. Mit genau dieser Selbstverständlichkeit, mit der man Essen aus der Küche in den Restaurantbereich schiebt. Der Sarg war schlicht, er war Fakt. Leiser Rumms beim Hineinschieben. Ein noch junger Mann mit grauen Haaren lud eine Reisetasche auf den Beifahrersitz. Er drehte sich kurz um. Seine Augen trafen ihre Augen. Sein Blick war so nackt, dass man meinte, bis zum Grunde seines Herzens sehen zu können. Und doch lag nichts anderes als Normalität in diesem Blick. Hundert Meter tiefe Normalität. Türenknallen, und der VW -Bus verschwand im Strom der Hauptstraße. Ich könnte nicht sagen, was genau passiert war, ich kann nur sagen, dass diese Szene alle Ängste, jede Ungeduld, die Wünsche und Hoffnungen, jeden Schmerz und jedes Ertragen in der Notaufnahme des Copa D’or auf einen Punkt zusammenzog, der klar und schön war; auf einen Kern, in dem die Wahrheit lag, ohne dass sie jemand benennen konnte.
Die Tür zu »Consultório 3008 « öffnete sich. Schalentiere drehten den Kopf nach links. Diesmal war sie dran. Dr. Rozenbaum, hager und braungebrannt, erinnerte sie an ihren Onkel Nr. 5 . Als Kind hatte sie ihre Verwandten durchnummeriert. Und Onkel Nr. 5 und Tante Nr. 5 hatten immer Bonbons für sie aus dem Auto geworfen, wenn sie nach Hause fuhren. Vielleicht war das ein gutes Zeichen. Dr. Rozenbaum schneuzte sich, in ein Taschentuch mit Monogramm. Er war höflich und schnell gelangweilt. Von ihren Fragen, ihrer Unsicherheit, dem Raum ohne Fenster, dem Bild an der Wand, darauf eine dieser beliebigen Landschaften, die es nur in Arztzimmern gibt. Vielleicht ermüdeten ihn auch die eigenen Fragen, deren Antworten er schon festgelegt hatte. Sein Blick war kein neugieriger mehr.
Aber die Reise, der Amazonas. Er sah sie an, als käme sie aus der Landschaft auf seinem Bild. Als könnte sie es besser wissen. Ihn auf seiner Reise unterbrechen, zu der er längst aufgebrochen war. Er kannte die Route, sie war ihm so vertraut. Es sei A. Natürlich. Eine der vielen Dengue-Erkrankungen, die in Rio, wie in vielen Teilen Brasiliens, wüteten. Und sie sei natürlich nicht gefeit. Wertlose Medikamente schrieb er auf den Block, auf den in blauen Schnörkeln der Name des Krankenhauses gedruckt war.
Die Plasmodien waren eine Alge, ein schlichtes Wassergewächs, bevor sie in unsere Körper eindrangen. Wir sind sechs Tage lang Eier, neun Tage lang Larven, zwei Tage lang Puppen, bevor wir zu Mücken werden. Was
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