Mal Aria
wart ihr, bevor ihr in dieses Leben getaucht seid? Wie lange seid ihr Puppen, bevor ihr Menschen werdet?
Der Körper verrät alles, wenn man ihn nur richtig befragt. Im Laufe der nächsten drei Tage sollten es noch fünf weitere Ärzte nicht tun, ihn befragen. Vielmehr waren sie damit zufrieden, schnell ein Rezept auf den Tisch zu legen. In der Geschichte verhielt es sich nicht anders.
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Im Jahr 1879 , die Miasmen-Theorie verlor langsam an Farbe, präsentierten in Italien zwei Herren namens Edwin Klebs und Corrado Tommasi-Crudeli die Lösung des Malaria-Rätsels. Die 70 er Jahre des 19 . Jahrhunderts waren das Zeitalter des Bakteriums. Man verabschiedete sich schrittchenweise von der Theorie der schlechten Luft und überführte Mikroben als üble Verursacher von schweren Krankheiten. Robert Koch und Louis Pasteur waren die Stars dieser neuen Weltanschauung. Konnte nicht auch Malaria einem Bakterium zugeordnet werden? Wäre das nicht phantastisch? Eilig entnahmen Klebs und Tommasi-Crudeli Proben aus den Pontinischen Sümpfen, das dunkle Wasser injizierten sie Kaninchen. Die Tiere bekamen hohes Fieber, ihre Milz blähte sich auf, in ihrem Blut fanden sich schwarze Partikel. Den Forschern gelang es, ein stäbchenförmiges Bakterium aus den sterbenden Kaninchen zu isolieren. Sie gaben ihm schlichtweg den Namen
Bacillus malariae
. Die Entdeckung wurde mit großem Applaus empfangen, die Wissenschaftler-Clique stieß mit Champagner auf diesen Meilenstein an. Auch wenn es keinem Forscher ein zweites Mal gelang, dieses Bakterium zu finden. Auch wenn im Nachbarland ein Franzose schon einer ganz anderen Theorie auf der Spur war. Der Wunsch nach einem Schuldigen hatte den Angeklagten überführt. Natürlich war es nicht unwichtig, dass die beiden Genies in Italien waren. Die römische Campagna war lange vor Christi Geburt bis in die frühen 30 er Jahre des 20 . Jahrhunderts, als Mussolini die Sümpfe trocken legen ließ, eine der am stärksten mit Malaria verseuchten Gegenden der Welt. Rom glich der mit Blättern bedeckten Grube, in die alle hineinpurzelten. Die Krankheit war nicht nur eine Plage, sie war auch eine Mode, wer konnte seine Feinde schon mit »Römischem Fieber« statt mit Schwertern schlagen. Die Italiener beanspruchten die Krankheit für sich wie eine eroberte Stadt. Wer auf der Welt hätte ein drängenderes Bedürfnis gehabt, den Erreger aufzuspüren – oder vielmehr, seine Identität festzulegen?
Im brasilianischen Rom, in Rio, hieß die Bedrohung des Jahres 2004 Dengue-Fieber, auch wenn sie selten tödlich endete. Es war eine Epidemie, die Panik kreierte. Die Tageszeitungen übertrumpften sich jeden Tag mit einer neuen Paranoia-Titelzeile. In den Häusern schlugen die Menschen mit elektrisch geladenen Tennisschlägern um sich. Die Ärzte gerieten unter Druck, die Krankheit schnell zu identifizieren, damit sie sich nicht zu stark ausbreitete. Es war eine Ironie des Schicksals, dass Carmen ausgerechnet in diesen Monaten mit einem der in Rio äußerst seltenen Malaria-Fälle unter Abertausenden von Dengue-Fällen auftauchte. Es gab kaum einen Arzt in der Stadt, der in dieser Zeit keine Dengue-Brille aufhatte. Es war so, wie wenn man in eine rothaarige Frau verliebt ist; man nimmt nur noch Rothaarige wahr. Und wenn man ein Bakterium aus der Erde haben möchte, denkt man nicht an einen Moskito.
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Manche dachten doch daran – nur glaubte man ihnen nicht. Einer von ihnen war Severino Duarte, der vor langer Zeit in dem Dorf Barracuda an einem Flussufer in Amazonien lebte. Severino hatte das irrsinnige Lachen einer Ziege. Leider sah man es selten, weil er sich stets den Mund mit einem Tuch verband. Er trug in der feuchten Hitze einen Mantel, der braun und weit war. Nach einer Malaria-Erkrankung hatte sich seine Handschrift verändert, was ihn oft in Schwierigkeiten brachte, wenn etwa eine Geliebte nicht glauben wollte, dass ein Brief von ihm stammte. Tagsüber wurde Severino als Sonderling verspottet, nachts, in den Träumen, bewundert. Als Einziger hatte er in Barracuda alle Sumpffieber der letzten Jahrzehnte überlebt. Täglich starben Väter, Mütter, Kinder daran. Mit sechzig Jahren war Severino der Älteste im Dorf. Natürlich musste dieser Umstand etwas mit seinem Mantel, dem Mundschutz, seiner gänzlich neuen Handschrift zu tun haben. Nur, wie hing alles zusammen? Manche, die sich in seine Hütte wagten, gar mit ihm sprachen, erfuhren die abenteuerlichsten Dinge. Von Moskitos und unsichtbaren Tierchen
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