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Mal Aria

Mal Aria

Titel: Mal Aria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Stephan
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Pfleger rollte sie auf einer Trage pfeifend einen Gang entlang, auf spiegelblankem Boden im Keller. Er stemmte sich gegen eine bleischwere Tür, schob sie hinein.
    Sie hatte kein Fieber. Sie war müde. In dem Raum waren die Jalousien geschlossen, in der Ecke ein Glaskubus, zwei Ärzte dahinter, sie flachsten und lachten. In der Mitte stand ein Kernspintomograph. Eine weiße Rakete. Dort kam sie hinein. »Bitte bewahren Sie Ruhe da drin, es dauert nicht lange, wir machen nur ein paar Aufnahmen von Ihrem Kopf«, sagte der Pfleger.
    Die Kreatur surrte. Langsam verschwand sie in ihr. Aufnahmen vom Kopf, das war gut, wieder Hoffnung auf eine Antwort. Sie schaute in das Weiß um sich herum, überrascht davon, wie eng, wie abgeschnitten von allem es war. Die Decke berührte fast ihre Stirn. Eine Panikröhre. Denk einfach nicht daran, wo du bist, denk an etwas anderes, beruhigte sie sich. Es dauert ja nicht lange.
    Die Röhre röhrte tatsächlich, ein Ton wie von einem Röntgengerät, das auf einen zufährt. Ein Knacken im Mikrophon. Die Stimme aus dem Glaskubus durch den Lautsprecher: »Wir fangen jetzt an. Bitte bewegen Sie sich nicht.« Das wäre ohnehin schwer möglich gewesen. Sie lag darin ergeben wie eine Tote. Die Arme eng am Körper, die Zehen starr aufgerichtet. Lider fallen zu. Keine Bilder. Sie sind weniger geworden, als gingen sie dem Vorführer aus. Nach einer Weile hört sie kein Röhren mehr. Keine Ansagen. Ist sie eingeschlafen? Dann sind sie fertig, dann kann ich gleich raus, denkt sie.
    Nach einer Weile hört sie lebhafte Stimmen, die sich entfernen, wie Arbeiter, die in ihre Pause gehen, zu Kaffee und Käsebällchen. Hört sie die Stimmen wirklich, oder erfindet ihr Kopf die Stimmen später dazu, zu dem viel mächtigeren Geräusch, das folgt, das schwer und satt bis in die Abgeschlossenheit der Röhre dringt.
    Die Panzertür fällt ins Schloss.
    Sie kommen gleich wieder. Sie holen etwas. Vielleicht die Aufnahmen. Natürlich, wie kann sie so dumm sein, sie müssen die Aufnahmen holen, um zu sehen, ob sie gut geworden sind. Ob ihr Gehirn gut darauf zu sehen ist.
    Ein Frösteln zieht durch ihre Knochen. Sie ist nackt unter dem dünnen Krankenhemd, das hinten geöffnet ist. Ihr Rücken, ihr Po, ihre Beine liegen auf kaltem Kunststoff. Das Weiß über ihr leuchtet. Wie im Mondschein. Es ist dunkler geworden.
    Hat jemand das Licht ausgemacht? Geht es von selbst aus?
    Zeit dehnt sich.
    Sie beißt in ihren Fingernagel, bis der Zeigefinger blutet. Denk nicht an die Enge, denk nicht an die Enge. Die Zeit ist jetzt so lang geworden, dass man schon ein sehr positiver Mensch sein muss, um noch an ein Aufnahmenholen zu glauben. Bloß: Es kann ja nicht sein. Es kann nicht sein, dass sie mich vergessen haben, denkt sie. Unmöglich. Ich glaube das nicht.
    Die Gewissheit kommt ganz leise, durch die Hintertür, auf Zehenspitzen schleicht sie herein.
    Endgültige Stille breitet sich aus.
    Sie schluchzt einmal auf. Es hallt, wie in einer Höhle. Sie atmet tief ein, fasst sich, ruft: »Hallo!«, erst zaghaft, dann lauter: » HALLO !« Ein erschrockenes Hallo, ein ungläubiges Hallo. Stiller ist es nirgendwo.
    Wie hatte der Arzt durchs Mikrophon gesagt: »Sie können uns hören. Aber wir können Sie nicht hören.«
    Ihr Körper beginnt zu begreifen. Das Herz rast. Der Atem wird flach, ganz flach, Scheibenatmung. Sie spürt einen brennenden Druck auf der Kehle, jemand drückt fest auf ihre Kehle. Ein Zweitonner liegt auf ihrer Brust. Alles in ihr bäumt sich dagegen auf, als brennte jeder Nerv seinem Ende entgegen, bereit, sich selbst zu sprengen. » ICH WILL HIER RAUS !«, schreit es in ihr. Nur ein Gedanke in ihr: LASST MICH RAUS ! RAUS ! Die Röhre durchstoßen, die Tür aufbrechen, die Treppen hochrennen, auf die Straße rennen, an die frische Luft. Rennen, nur rennen. Der Puls beschleunigt. Keine Luft mehr zum Atmen. Bis zur Gewissheit, die ihr jetzt kalt ins Gesicht schlägt:
    Du kannst hier nicht raus.
    Der Boden über dir geschlossen.
    Lebendig begraben.
    Weißer Sarg im Keller, tausend Augen tief.
    Es ist 8 . 44  Uhr. Über eine Stunde ist vergangen.
    Eine weitere Stunde vergeht ohne Erinnerung. Dunkles Loch im Kopf.
    Die Röhrendecke fällt auf sie zu. Niemals kommst du durch diese glatte, feste Decke hindurch. Niemals. Sie drückt das Gesicht in die kalt schwitzenden Hände. Stumme, wissende Verzweiflung, die keinen Widerstand mehr kennt.
    Minuten, Stunden, Tage? Sie hat kein Zeitgefühl mehr. Ist nicht mehr an einem

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