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Mal Aria

Mal Aria

Titel: Mal Aria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Stephan
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den Strand erreicht. Carl reckte seinen Hals wie ein Reptil, erwartete sie schon. Sie kam ohne Frosch, ohne Geschichte zu ihm zurück. Wie hätte sie es besser wissen sollen.
    *
    Ich folgte ihr in das Flugzeug nach Salvador de Bahia, in den Jeep nach Caraíva, das Dorf, in dem man barfuß lief. Ich sah ihr zu, wie sie am letzten Tag ihren Koffer packte, darauf bedacht war, nichts zu vergessen. Pass, Kamera, Ticket, Handy, Aufladegerät. In ihre Tasche warf sie sogar die Miniatur-Ausführungen der Kosmetika, die das Reisen zu Unrecht herunterspielten. Als gingen nur sehr kleine Menschen auf Reisen.
    Vierundzwanzig Stunden später schaukelte ihr Gehirn im Takt der Hufschritte. Sie harrte still aus, aber in ihr war nichts mehr ruhig. Der Magen wand sich, ein zäher Fluss gurgelte darin. Die Stöße im Kopf. Der Aufruhr in ihrem Körper, wie es rüttelte, pochte, sich aufblähte gegen das Fremde. Auf seltsame Weise hörte sie es auch, als sei sie, in nächster Nähe, von diesen Geschehnissen getrennt. Als läge sie an einer dünnen Papierwand, und dahinter lag ihr Körper, der sich wehrte wie das wild strampelnde Kind.
    Geißeltierchen übernachteten zwischen ihren Knochen. Spurlos und schnell dringen sie in ihre Leber ein, verstecken sich, rüsten tagelang ihre Armee von Parasiten auf. Dann marschieren sie nach draußen. Vielen gelingt es, in die roten Blutkörperchen einzudringen, sie zu plündern, bis nichts mehr übrig ist. Die Frage war: Wer lässt sie hinein? Wenn man Körperzellen mit Geldgehäusen vergliche, dann wären die Leberzellen eine Sparbüchse und die Blutzellen der Tresor einer Schweizer Bank. Die härteste Tür der Welt. Wie kommen die Tierchen da hinein. Wer gibt ihnen den Code. Was wussten sie, was wir nicht wissen. Was in euch sagt Ja zu ihnen.
    Im Laufe ihres Lebens verwandeln sich die Geißeln siebenmal, sie tragen neue Gesichter, andere Kostüme, sie narren euch und mich, Mensch und Mücke. Sie operieren in zwei völlig gegensätzlichen Körpersystemen. Von der niedrigsten Stufe aus, auf der sich ein Lebewesen befinden konnte, kennen die Geißeln unsere größten Geheimnisse.
    Meine Freunde, es ist kein Außerirdischer, der auf einem Feld landet, es ist ein Feind, der euch von innen angreift, er will nicht die Erde erobern, sondern euch selber, ganz und gar.
    Ich benutze diese Kriegssprache aus tiefer Ablehnung heraus, aus Aberwitz. In Wahrheit ist sie fehl am Platz. Die Geißeln wollen euch nicht vernichten. Sie wollen überleben. Sie haben keine weiteren Ambitionen. Eure Schmerzen, euer möglicher Tod sind nichts weiter als ein Kollateralschaden für sie. Ist das nicht phantastisch, ihr Menschen seid nur eine unnütze Hülle für Wesen, die es nicht mal zu Fühlern geschafft haben, die nicht mehr als ein Klumpen ohne Geist und Seele sind.
    *
    Irgendwie musste ich den Menschen begreifbar machen, was geschehen war. Damit die Geißeln zerstört werden konnten. Nur wie? Wie sollten wir kommunizieren, wenn wir offensichtlich nichts gemeinsam hatten. Bemerkten sie mich, brachte ich mein eigenes Leben in Gefahr.
    Ihre Augen glänzten matt und fern. Sie sah aus wie jeder Malaria-Kranke: Als wäre sie nicht mehr da. Ihr Kopf wollte ihr Leben zurück. Wünsche kamen, Tiefe kam, wie immer wenn ihr krank werdet. Was würde sie alles tun, wenn sie erst zu Hause ist. Was hatte sie für Möglichkeiten. Jetzt. Auf einmal.
    Der Raum war klein, ohne Fenster. Eine Neonröhre flackerte. Ihr Arzt im Krankenhaus von Porto Seguro hieß Dr. Borges. Ein junger Kerl mit einem Abhörgerät um den Hals, das mich an eine erlegte Beute erinnerte. »Wie kann ich Ihnen helfen?«, er versteckte ein Gähnen hinter weißen Fingerknöcheln, was sie enttäuschte, ohne zu begreifen, weshalb. Sein Hals perfekt rasiert, nur unterhalb des Ohrläppchens, wo man sie nicht vermutete, standen drei Barthaare, die der Windhauch des Ventilators verwirbelte.
    Dr. Borges machte Kreuzchen: »Kopfschmerzen?«
    »Ja, sehr, aber vielleicht kommen sie von dem starken Wind, und wir haben eine Flasche Rotwein getrunken gestern Abend.«
    »Château Migraine«, in seinem Mundwinkel zuckte es.
    »Fieber? Erbrechen?«
    Carmen nickte. Sie wollte ihm alles erzählen, jedes aus ihrer Sicht wichtige Detail der Reise, er hetzte durch das Gespräch, als gelte es einen Zug zu erwischen und nicht eine Krankheit zu finden.
Vielleicht ist er sich aber auch schon sicher. Er wirkt ruhig. Es wird nichts Schlimmes sein. Gleich sagt er es.
Als der Doktor etwas

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