Mala Vita
vorhin noch nicht beantwortet. Auf welche Insel sollte ich dich begleiten?«
»Ich muss dringend für einige Tage nach Antigua. Ich hatte gehofft, du könntest mitkommen.«
Rosanna zog konzentriert die Brauen zusammen. »Hat Enrico dort Geld angelegt?«, fragte sie mit einem harten Unterton in der Stimme.
Cardone war für einen kurzen Augenblick verwirrt. »Woher kennst du den Vornamen meines Bruders?«
»Du hast ihn verschiedentlich genannt. Außerdem habe ich ihn in der Zeitung gelesen«, antwortete sie ein wenig kühl, aber eine Sekunde später tauchte ihr vertrautes Lächeln wieder auf. »Im Fernsehen war übrigens auch die Rede davon, was er beruflich tat. War er nicht Consigliere?«
»Avvocato«, verbesserte er sie. »Er hatte seine Kanzlei in Premeno.« Cardone musste an die kurze Begebenheit am Lago Maggiore denken, als er die Kiste seines Bruders in den Kofferraum seines Wagens stellte. In dem dunkelblauen BMW auf dem Parkplatz saß eine junge Dame am Steuer, die, wie ihm jetzt schien, Rosanna hätte sein können. Auch der BMW , mit dem Rosanna zum »Tamburino« gefahren war, hatte abgedunkelte Scheiben, ein Mailänder Kennzeichen und war dunkelblau.
Er versuchte, den absurden Gedanken beiseitezuschieben. Wieso sollte sich ausgerechnet Rosanna in dieses abgelegene Kaff verirrt haben? Er fühlte, wie sich in ihm leises Misstrauen regte, und er ertappte sich dabei, wie er ihr kritisch in die Augen sah.
Der Kellner kam an den Tisch und verteilte die Speisekarten. Cardone und Rosanna entschieden sich für
pasta
und ein
agnello arrosto
mit Speckbohnen und
patate fritte
.
»Warst du schon einmal in Premeno?«, fragte Cardone unvermittelt.
Rosanna hob ruckartig den Kopf. Wieder verdunkelten sich ihre Augen, und sie schien für den Bruchteil einer Sekunde verunsichert. »Nein. Wie kommst du darauf?«
Sie begegnete seinem Blick offen, und er konnte weder Verlegenheit noch Heuchelei entdecken. Beinahe entschuldigend fuhr er fort: »Als ich letzte Woche wegen meines Bruders in Premeno war, dachte ich, dich gesehen zu haben. Neben meinem Auto parkte genau so ein Wagen, wie du einen fährst. Und die Frau hinterm Steuer sah aus wie du.«
Rosanna schüttelte den Kopf. »Ich war noch nie am Lago.«
»Möglich, dass ich in der Aufregung Phantome gesehen habe. Du musst mir meine komischen Fragen nachsehen, aber seit Enricos Tod geschehen andauernd absonderliche Dinge. Befremdliche. Wunderliche. Beängstigende. Allein die Tatsache, dass ich von allen Seiten höre, Enrico sei ein Mitglied der Mafia gewesen, jagt mir Angst ein. Dann diese Reporter, die mir an jeder Ecke auflauern. Und wenn ich den Paparazzi entkommen bin und zu Hause den Fernseher einschalte, laufen gebetsmühlenartig Sendungen über den Mord an meinem Bruder. Manchmal glaube ich, alles sei nur ein böser Traum, und bestimmt hältst du mich für übertrieben sensibel.«
Rosanna hatte ihm regungslos zugehört, und ihre Augen hatten für Cardone etwas Beunruhigendes. Es schien ihm plötzlich, als sitze eine fremde Frau mit ihm am Tisch, eine, die nichts mit ihm zu tun hatte. Täuschte er sich, oder hatte Rosanna einen unerbittlichen Zug um den Mund? Aber von einer Sekunde auf die andere verwandelte sich ihre strenge Ungerührtheit wieder in die verbindliche Wärme, die er an ihr so mochte.
»Ich kann mir gut vorstellen, wie es in dir aussieht«, sagte sie plötzlich.
»Seit wir uns getroffen haben, gehst du mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich werde dich auch nicht mehr aus dem Kopf bekommen, selbst wenn ich wollte.«
Rosanna hörte ihm mit gesenktem Kopf zu und spielte mit der Serviette. »Du bist ein alter Schmeichler, Roberto. Wie gesagt, ich war noch nie am Lago Maggiore. Überdies gibt es ganz sicher sehr viele BMW s, auch dunkelblaue.«
Cardone nickte und nahm sich vor, diesen dummen Gedanken völlig aus seiner Erinnerung zu streichen. »Wir waren bei unserer Reise stehengeblieben«, nahm er das Thema wieder auf. »Wir könnten ein paar Urlaubstage anhängen und dabei feststellen, ob wir zusammenpassen. Wie findest du das?« Gespannt wartete er auf ihre Reaktion.
»Du liebe Güte, Roberto! Du überfällst mich mit Ideen! Ich kann nicht einfach …«
»Bevor du darauf antwortest …«, unterbrach er sie. »Die Reise kostet dich keinen Cent. Ich übernehme alle Kosten.«
Rosanna strich über Cardones Haare. »Quatschkopf!«, flüsterte sie und hauchte ihm einen Kuss auf den Mundwinkel. »Die sicherste Art, arm zu werden, ist reich erscheinen zu
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