Mala Vita
kokettierte sie und bedachte ihn mit einem unnachahmlichen Augenaufschlag. »Wahrscheinlich werden Sie fürchterlich enttäuscht sein. Ich lebe nicht in Italien. Ich habe vorübergehend eine Wohnung am Stadtrand von Bologna, bis ich meinen Job erledigt habe, draußen am Flughafen.«
»Und wo ist Ihr eigentliches Zuhause?«
»Ich lebe in einer kleinen Stadt in Israel. Der Name wird ihnen kaum etwas sagen«, erwiderte sie unbestimmt und schwieg. Ihre Miene vermittelte Cardone den Eindruck, dass sie auf das Thema »Zuhause« nicht eingehen wollte.
»Aber Sie sind Italienerin, nicht wahr? Das können Sie kaum verleugnen.«
Rosanna nickte. »Ich bin in Italien geboren und aufgewachsen. Als ich knapp zehn Jahre alt war, zogen meine Eltern nach Teverya, das einstige Tiberias. Mein Vater bekam damals schnell Arbeit in einem Kibbuz. Seither lebe ich dort.«
»Ach, bei Ihren Eltern?«, fragte er überrascht.
»Nein! Im Haus meiner Eltern.« Rosannas Augen bekamen unvermittelt einen kalten Glanz, und obwohl sie ihn anlächelte, hatte er das Gefühl, als sei sie innerlich eingefroren.
»Sie sagen das, als seien Ihre Eltern gestorben«, bemerkte er vorsichtig.
»Ja, sie sind schon lange tot.«
Der Ton in ihrer Stimme ließ ihn frösteln. »Hmm …! Ich wollte nicht unangemessen in Sie dringen, entschuldigen Sie bitte«, entgegnete er und versuchte dem Gespräch eine Wendung zu geben. »Nicht alltäglich, dass eine italienische Familie nach Israel auswandert. Den Namen Tiberias kenne ich noch aus dem Alten Testament. Das liegt doch an einem See, nicht wahr?«
»Es ist die Stadt Johannes’ des Täufers und liegt in Galiläa am See Genezareth, nicht weit von den Golanhöhen. Eine wunderschöne Kleinstadt mit einer noch schöneren Promenade am Wasser.«
»
Dio mio!
Ist das nicht gefährlich? Ich meine, wegen der Anschläge der Palästinenser?«
Rosanna zog die Nase kraus. »Wie man es nimmt. Es sind nicht nur die Palästinenser. Israel hat einige unfreundliche Nachbarn. Syrien, den Libanon. Es gibt immer wieder Anschläge. Aber meist in Tel Aviv, Haifa oder auch in Hazafon. Man gewöhnt sich an die Gefahr, wenn man dort lebt. Wir verstehen es, uns zu verteidigen. Mittlerweile kann ich die Gefahr riechen und ihr aus dem Weg gehen. Aber Tiberias ist einigermaßen sicher. Es kommen viele Touristen, wir haben sehr schöne Hotels, und das Klima ist angenehm.«
»Darf ich fragen, was Sie beruflich machen?«, bohrte Cardone weiter, weil Rosanna nicht sehr redselig zu sein schien, wenn er das Gespräch auf ihre Person lenkte. »Ich könnte mir vorstellen, dass die Job-Angebote dort nicht gerade üppig sind.«
»Sie sind neugierig, Roberto! Ich arbeite freiberuflich«, erwiderte sie ausweichend, fügte aber auf Cardones fragenden Blick hinzu: »Versicherungen. Man könnte meine Tätigkeit manchmal auch als Notfallintervention bezeichnen.«
Cardone grinste. »Und was darf ich darunter verstehen?«
»Sie wollen es aber ganz genau wissen! Ich helfe gegen Honorar wichtigen Menschen bei schwierigen Problemen.« Rosanna leerte ihre Tasse. »Wollen wir gehen?« Wieder strich sie über Cardones Hand. Ihre Berührung versetzte ihn erneut in Aufruhr, und er fühlte sich ihr plötzlich sehr nah.
»Gerne!« Er sprang ein wenig ungestüm auf und legte einen Fünf-Euro-Schein auf den Tisch, während Rosanna in ihrer Handtasche nach dem Autoschlüssel kramte.
»Mein Wagen steht ein paar hundert Meter von hier in einer Seitenstraße«, sagte sie. »Ich musste mehrmals um den Block fahren, bis ich endlich einen Platz gefunden hatte.« Sie erhob sich und trat zu Cardone. »Darf ich?«, fragte sie mit kokettem Unterton, griff nach seiner Krawatte und rückte den Knoten zurecht. »Perfekt!«, murmelte sie. Dann hakte sie sich wie selbstverständlich bei ihm unter, und sie verließen die Cafébar.
Er genoss den Weg zu Rosannas Auto, wie er selten zuvor einen Spaziergang durch das nächtliche Bologna genossen hatte. Er spürte ihre wiegenden Hüften, ihren Oberschenkel, der ihn bei jedem Schritt sanft streifte und eine intime Vertrautheit auslöste. Auch Rosanna schien Cardones Nähe zu suchen, denn wie es schien, versuchte sie nicht die flüchtigen Berührungen zu vermeiden. Die beiden waren in ein schmales Gässchen abgebogen, und Rosanna blieb vor einer dunkelblauen BMW -Limousine stehen.
»Schönes Auto!«, bemerkte Cardone überrascht. »Ich hätte eher angenommen, dass Sie ein sportliches Cabriolet fahren.«
Rosanna lächelte. »Es ist
Weitere Kostenlose Bücher