Malchatun
sich, selbst bei diesem Spaziergang Bewaffnete gesehen zu haben. Beim ersten Anzeichen einer Gefahr würden sie zur Stelle sein. Und doch sei es nicht lange her, daß wenigstens sie selbst noch ungefährdet allein durchs Land habe reiten können. Solle das für immer vorbei sein? Sei der Hunger nicht groß genug? Solle der Pflüger denn nie mehr sicher sein bei seinem Pflug und kein Hirte bei seiner Herde? An die geflüchteten Rinder in Inöni dachte sie . . . aber auch daran, daß Aratos ihre Frage nicht beantwortet habe.
»Du schweigst, Malchatun?« »Ich kannte dich als gerechten Mann, Aratos . . .«
»Und nun?«
»Du nimmst Partei . . .«
»Für den Frieden!« unterbrach er sie, »für die kleinen Leute, mögen sie vor Allah knien oder vor dem Kreuz.«
»Vorhin sagtest du, ich solle Erbarmen haben mit mir selbst. Bist du meiner Wünsche so sicher?«
»Wenn ich mich irrte, so verzeih. Gilt dir das, was ich erbitte, als ein Opfer, so rechne mir meine Worte nicht an. Wir sind allzumal Sünder, Marula.«
»Ich rechne dir deine Worte nicht an. Aber du beantwortest mir nicht meine Frage. Ist es nicht unrecht, das Bessere dem Schlechteren hintanzusetzen, und kann aus Unrecht Gutes entstehen ?«
»Frage mich nicht«, flehte er, »frage mich nichts, worauf ich dir keine Antwort weiß!«
»Du lässest mich allein«, sagte sie sanft.
»Ich lasse dich einem andern«, ergab er sich, »und will Gott bitten, daß dieser andere dir besser als ich zu antworten weiß.«
Ein Schweigen breitete sich um Malchatun. Der Weg hatte sich den Bäumen entwunden. Nun übersah sie das Tal und den Ort zu ihren Füßen. Weidendes Vieh erblickte sie weit weg und winzig, und eine sonnenbeschienene Wolke glänzte am Himmel. Trotz fiel von ihr ab, und ihre Seele hüllte sich in das Leuchten des Sommertags und in die Ruhe des Friedens.
»Mein Aratos . . .«, hub sie an . . .
»Aratos sei gepriesen«, kam ihr die Antwort von Salmenikos, »er überließ mir seinen Platz. Darf ich hoffen, Kirina Marula, daß Sie mir nicht verweigern werden, was Sie ihm gewährten: huldvolles Gehör?«
Lächelnd blickte er sie an.
Ja, da sei er in seinem ganzen Glanz, fühlte Malchatun mehr, als sie es dachte. - Der Gedanke so vieler Nächte sei wieder leibhaftig geworden, und nichts fehle ihm von allem, was ihn jemals geschmückt habe. Höflich und unaufdringlich, fast bescheiden stehe er da und seiner selbst doch so gewiß. Auf seiner Stirn und in seinen Augen aber ruhe noch die geschmeidige Klugheit, die ihr sein Lächeln immer so wert gemacht habe und es auch jetzt wieder mache. Derselbe Mann stehe vor ihr, der, ohne einen Tropfen Blut zu vergießen, eine Stadt erobert habe, und wenn man ihn ansehe, wundere man sich nicht darüber. Das alles fühlte sie und zugleich sich selbst als ein zweites, als eine andere, der es zur Genugtuung gereiche, daß diese Malchatun das alles ohne jede Beklemmung und ohne Beschleunigung des Herzschlags zu sehen und zu fühlen vermöge. Selbst so weit konnte sie denken, daß der große Schmerz vielleicht noch kommen werde. Aber jetzt war sie ruhig, und sie freute sich dieser Ruhe.
»So sieht also ein Sieger aus«, lächelte sie zurück, ohne ein Wort über Aratos und den Wechsel der Gestalten zu verlieren. »Ich glaube, ich wünschte Ihnen noch nicht einmal Glück zu Ihrer neuen Erwerbung, Archont?«
»Ihretwegen ist sie mir doppelt wert«, sagte er mit leichter Verneigung. »Sie verlebten in Eskischehr Ihre Kindheit. Doch das Wissen darum ist alles, was von Ihnen zurückblieb, der Gedanke an Sie, den jedes Zimmer im Schloß, jedes Haus in der Stadt, jeder Stein auf der Straße herbeiruft, weil Sie im Zimmer verweilten, die Schwelle überschritten, den Stein mit Ihren Füßen betraten. Sie nennen mich Sieger, Marula; aber ich bin es nur halb. Halber Sieger bin ich ohne Sie.«
Immer tiefer hatte sie ihr Haupt gesenkt, und ohne in Eitelkeit zu erblühen, hatte sie seine Worte vernommen.
»Sie haben, was Sie am heißesten begehrten«, sagte sie nur.
»Was wissen wir von unserm Begehren? Erst wenn wir das eingebildete Ziel erreichten, erkennen wir das wirkliche.«
»Und an jedem neuen Ziel, Salmenikos, wird Sie das Begehren nach einem andern ergreifen, nur weil es ein anderes ist«, ergänzte sie, und in ihren Augen hob es ihn, daß er nicht ohne weiteres widersprach.
»Wir sind Menschen«, meinte er, »und als Menschen sind wir geneigt, uns dessen, was wir zu besitzen glauben, zu sicher zu fühlen. Daß Sie mir
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