Malchatun
Schönheit vollendet, wie ein Samen in seine, Osmans, eigene Brust gesenkt. Und da habe er ein immerwährendes Wachsen in sich gespürt, und dieses Wachsen sei — jawohl! — zum Baum geworden, immer größer an Schönheit und Stärke habe er seine Zweige weit über Länder und Meere gebreitet und mit seinem Schatten die letzten Horizonte der Erde erreicht. Über die Gebirge hinweg habe der Baum sich gereckt, wie Pfeiler eines unendlichen Laubdaches schwertförmiger Blätter seien die Berge gewesen. Flüsse seien den Wurzeln entsprungen, und Schiffe haben ihre Fluten bedeckt und Flotten die Meere. Durch Rosen- und Zypressenhaine seien die bergentsprungenen Quellen gerieselt, zu deren Murmeln der Gesang tausendstimmiger Nachtigallen erklungen sei. Da aber habe - und jetzt sehe er, Osman, es wieder! -ein siegender Wind sich erhoben und die Schwertblätter gegen die eine Stadt gesenkt, gegen die Kaiserstadt Konstantins, den Diamanten im Ringe erdumfassender Herrschaft.
So in sich selbst versunken war Osman, daß er eine Gebärde machte, als wolle er den Ring anstecken, von dem er sprach, und als er Malchatun ansah, war es kein Erwachen.
»Kamerije«, sagte er und nannte sie mit ihrem arabischen Namen Schönheitsmond, »du bist in mir, du bist der Mond, wir sind der Baum, Keim und Wiege eines Herrschergeschlechtes sind wir . . .«
Einen winzigen Augenblick wünschte Malchatun, der Vater hätte Osman so wie sie jetzt hören können, doch der Gedanke zerstob, wie er gekommen war. Um Osmans Traum dem väterlichen Lächeln auszusetzen, war sie zu hingerissen. Auch Salmenikos hatte sie mit der Aussicht auf fürstliche Macht versucht; dieser aber wollte sie nicht überreden. Er sprach, was er sah, und was er sah, war immer sie selbst. Malchatun sah sich im Spiegel von Osmans Liebe und erschauerte.
»Du wolltest einen Traum«, entschuldigte er sich, »und ich sagte dir einen. So etwa mag ich zu Manuel gesprochen haben. Vergiß nicht, Malchatun, wir hatten getrunken.«
»Trinke oft, Osman, wenn du dann immer solche Träume hast«, sagte sie und zog den Schleier über ihre Augen.
»Du lachst nicht?« verwunderte er sich.
Nein, sie lachte nicht. Was hatte sie zu Salmenikos gesagt?
>Mit dem letzten Wort, das wir hier wechseln, Asanes, trennen sich mit uns unsere Bekenntnisse und Völker.< - Daran mußte sie denken. Was sie von Salmenikos trennte, verband sie mit Osman. Sie fühlte sich auf der Woge eines unaufhaltsam dahinfließenden Stromes von Völkern und Bekenntnissen -getragen fühlte sie sich, ihrer Bestimmung entgegengetragen. Und die sei Osman.
Auch für ihn fielen die Schranken. Weder vergöttlichtes Bild noch erstrebter Besitz war Malchatun ihm mehr - nur als seine Frau empfand er sie, als sein Ziel, als die Erlösung von sich selbst, als die Quelle neuer, vielfältiger Kräfte. Er sah ihre schmalen Finger, ihren Fuß . . .
»Kamerije . . .«, flüsterte er und streckte die Hände nach ihr aus, »Kamerije . . .«
Voll Grauen fühlte Malchatun seine Pranke in sich dringen, sich von seinen Armen umschlungen. Aber dieses Grauen war kein Widerstand, keine Abwehr mehr, es war wie der Sturz in einen Abgrund. Unwiderstehlich zog dieser Abgrund sie an. Mit einer letzten, starken Gewißheit auf eine Wiedergeburt ließ sie sich fallen, und im Fallen erlebte sie es, daß zu jedem Schöpfungsakt auch das Chaos gehört, daß ohne Teufel kein Gott ist. Vereint mit dem Chaos sah sie den ordnenden göttlichen Willen in Allahs Allmacht kreisen.
22
Als Dündar, der Alte, nach Seraidschik kam und die große Zahl der Männer erblickte, die seinem Neffen Osman zugelaufen waren, wuchs sein Groll. Immer war er zu spät gekommen, um der erste zu sein, und jetzt sei es - das fürchtete er sehr - das letztemal und endgültig für ihn zu spät. Und doch fühlte Dündar sich als der einzige, der die große Vergangenheit nicht vergessen könne, während die andern, sein Bruder Ertoghrul eingeschlossen, zu kleinen Leuten herabgesunken seien, die sich in geringen Verhältnissen wohl fühlten. Sie wieder aus Viehzüchtern zu angehenden Welteroberern zu machen war ihm zeitlebens eine Herzenssache gewesen. Nicht minder als Dschingis Khan dünkte er sich, nur daß ihm das Verständnis seiner Stammesgenossen gefehlt habe und wohl auch das Glück des Mannes von Karakorum. Bei jeder Gelegenheit, die im Laufe der Zeit aufgetaucht sei, habe zwischen ihm und seiner Aufgabe Ertoghrul gestanden.
Doch wenn Dündar heute auch ein grämlicher alter
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