Malefizkrott
literarische Leistung von Droste-Hülshoff ist, dass sie uns zum ersten Mal die Soziopsychologie eines Kleinkriminellen vorführt: Vater Säufer, Mutter schwach, Junge verschüchtert, aber narzisstisch gekränkt, rachsüchtig und gewaltbereit, erst nur Dieb, doch ständig unter Verdacht, wird er schließlich zum Mörder.«
»Also gut. Große Kunst!«
Die Sonne fiel in die Alpen. Der See glühte. Ich er zählte Richard von meinen Überlegungen zu Marie alias Marianne Brandel.
»Es gibt keinerlei Beweis«, gab er zu bedenken, »dass Frau Brandel verwandt ist mit Lola Schrader.«
»Mit einem Gentest könnte man den Beweis herbeiführen.«
»Vorausgesetzt, beide Seiten würden dem zustimmen. Und ich kann keinen plausiblen Grund erkennen, warum eine Kulturstaatsministerin einen Killer auf ihre Enkelin ansetzen sollte, der Feuer legt und einen Buchhändler und einen Waffenhändler erschießt. Das hier hat irratio nale Züge, Lisa. Darum müsst ihr eure Tingelei abbre chen. Reden wir nicht von der Gefahr, in der Lola und auch du schwebt, stell dir nur vor, irgendein Unbeteiligter käme zu Schaden. Bitte, sei wenigstens du so vernünftig.«
»Oho! Die Vernunft und ich waren noch nie Freundinnen.«
»Lisa, bitte! Deine Bockigkeit könnte andere das Le ben kosten.«
Ich schnappte ein, und wir stritten uns richtig. Ich hielt ihm vor, er sei ja nur eifersüchtig, er warf mir vor, ich gefährde Lolas Leben, nur weil ich ihn provozieren wolle. Was mir aber nicht gelingen werde. Dann war Cipión abgängig. Wir liefen rufend durch die Reben und das Spalierobst und fanden ihn zur Hälfte in dem Krater verschwunden, den er in ein Mäuseloch gebuddelt hatte.
Schweigend kehrten wir nach Nonnenhorn zurück.
»Besuch die kleine Alena doch endlich mal«, sagte ich, als Richard mit dem Schlüssel in der Hand an der Tür seines Wagens stehen blieb und mich mit einem ge kränkten ›Überleg dir gut, was du tust, Lisa!‹ um die Na se anschaute. »Dann wirst du vielleicht erkennen, wer von uns beiden seine Verantwortung übernimmt. Und du wirst dich besser fühlen!«
»Ich glaube, dir geht es ohne mich auch viel besser«, sagte er.
»Worauf du einen lassen kannst!«, antwortete ich.
Und so zogen Lola und ich weiter. »Übrigens«, sagte sie, als wir in Überlingen auf dem Rand des Martin-Walser-Brunnens die Füße ins Wasser baumeln ließen und vesperten, »ich hab’s noch nie mit jemandem getan. Das glaubst du mir vielleicht jetzt nicht. Ich schreibe darüber, über die krassesten Sachen, ich habe alles gelesen und gesehen, die abartigsten Dinge.«
»Technik ist nicht alles, Lola.«
Zwei vollbusige Meerjungfrauen streckten ihre Flossen gen Himmel, quer darüber lag ein Brett und darauf stand eine hustende Schindmähre, an deren Sattel sich unfroh der Dichter klammerte. An seinen Füßen hingen Schlittschuhe.
»Das ist mir auch klar«, sagte Lola. »Ich würde es mir ja von dir zeigen lassen, aber ich möchte nicht, dass ich dann festgelegt bin. Falls ich doch mal Mann und Kinder haben möchte.«
»Festgelegt ist man ab der frühen Kindheit, Lola.«
»Hm. Warum trägt der eigentlich Schlittschuhe?«
»Eine Anspielung auf die Seegfrörne.«
»Was?«
»Das Zufrieren des Bodensees, was nur alle hundert Jahre oder so geschieht.«
»Hm. Vielleicht bin ich frigide.«
Ich musste lachen. »Das Wort habe ich seit meiner Jugend nicht mehr gehört. Damals galten Lesben als fri gide. Die gehören nur mal anständig durchgefickt, und dann wissen die, was gut ist. So die Art.«
»Und wenn ich … wenn ich so wäre?«
Mitte der zweiten Woche kam sie auf die Idee, an den Uferpromenaden aus ihrem Buch vorzulesen. Anfangs schauten sich die Leute nur irritiert um. Sie las vor wie eine Erstklässlerin. Doch allmählich gewann sie Stimme und Zutrauen, und als die ersten Münzen in ihre Jacke fielen, begann sie, das Publikum anzuschauen, dann anzusprechen, und schließlich brachte sie es zum Lachen. Und auf einmal war der grässliche Text ein witziges Spiel mit jugendlichem Sprachschwachsinn und kindlichen Vorstellungen von dem, was Sex sein könnte.
Anfang der dritten Woche kamen wir nach Immenstaad, das außer einer Seebrücke und Wasserspielen am Ufer noch jede Menge Hochtechnologie beherbergte, darunter das Raumfahrtunternehmen EADS Astrium, was mich an das Kapitel meiner eigenen Biografie erinnerte, das geheim zu halten ich mich verpflichtet hatte {23} . Dann erreichten wir Friedrichshafen. Abends – wir waren noch in
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