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Malefizkrott

Malefizkrott

Titel: Malefizkrott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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drum frage ich dich, was die Polizei über Volker B. weiß. Hatte er Familie?«
    »Nein. Die Mutter ist einem Krebsleiden erlegen, der Vater ist unbekannt.«
    Das half mir auch nicht wirklich weiter. »Übrigens, Lola ist nicht in Gefahr«, bemerkte ich. »Jedenfalls jetzt noch nicht. Wenn er sie auf der Demonstration hätte töten wollen, hätte er es getan. Zumindest hätte er niemals so weit daneben geschossen.«
    »Oder er hat keine Ruhe zum Zielen gehabt. Immerhin steckte er mitten in einer Menschenmenge.«
    »Aber der Schuss hat genau das Gestänge getroffen.«
    »Das kann Zufall sein.«
    »Schwer vorstellbar!«
    »Ja«, sinnierte der Staatsanwalt, »da zeigt sich wieder mal, welch panische Angst unser Gehirn vor dem Zufall hat. Übrigens, deine Krott twittert, ist dir das bekannt?«
    Ich gab ein nach allen Seiten interpretierbares Ge räusch von mir.
    »Sie notiert jeden Tag, was ihr macht und wo ihr gewesen seid. Euch folgen bereits Tausende und es werden täglich mehr. Und in Facebook stellt sie Fotos, aus denen man leicht schließen kann, wo ihr ungefähr seid. Sie soll te wenigstens dringend die Ortsangabe auf ihrem iPhone deaktivieren.«
    »Shit!« Das war mir entgangen.
    »Der Stuttgarter Anzeiger hat heute darüber berichtet: ›Lola Schraders Wanderzeit‹.«
    »Hm, ja!«
    »Die Polizei ist alles andere als begeistert, Lisa. Ich habe den Auftrag, euch zu überreden, dass ihr eure Tour beendet und nach Stuttgart zurückkommt.«
    »Es ist Sommerpause, Richard. Lola hat keine Lesungen, und sie braucht dringend ein paar Alltagsabenteuer. Der Plan ist, dass ihre Communiqués in den Sozialnetzwerken nur auf Orte verweisen, wo wir schon nicht mehr sind.«
    Richard schnaufte verblüfft. »Du weißt davon?«
    »Ehrlich gesagt, es war meine Idee. So kontrollieren wir ihn statt er uns. Er ist uns immer ein bis zwei Tage hinterher.«
    »Und wenn er euch gar nicht folgt?«
    »Na, umso besser.«
    »Du glaubst doch nicht, dass er nicht längst gemerkt hat, dass ihr ihn zum Besten haltet. Was ist, wenn er auf einmal dort auftaucht, wo ihr gerade seid?«
    »Hättest du uns gefunden, wenn du unseren Face bookhinweisen gefolgt wärst? Und was hättest du gemacht, wenn du festgestellt hättest, dass wir nicht mehr in Uhldingen sind? Der Ort ist zwar klein, aber tagelang aneinander vorbeilaufen kann man auch dort, und die Pfahlbauten besucht man nur einmal! Ab wann hättest du uns woanders vermutet, und vor allem, wo? Gleich nebenan in Meersburg?«
    »Interessiert sich unsere Dichterin denn für das Sterbezimmer von Annette von Droste-Hülshoff auf der Burg? … Ist dir ein Begriff? … Die Judenbuche …«
    »Herrje! Eher ändert sich der Lauf des Mondes als der Kanon der Deutschlehrpläne.«
    »Übrigens hat Droste-Hülshoff die Novelle nach einer wahren Begebenheit verfasst. Dieselbe Mordgeschichte hatte ihr Onkel schon zwanzig Jahre davor nach Aktenla ge aufgeschrieben.«
    »Und ich dachte, nur moderne Malefizkröten verwenden fremdes Gut. Es muss ja megaschwer sein, eine Geschichte zu erfinden!«
    »Darauf kommt es auch gar nicht an, Lisa. Geschichten haben im Zusammenleben der Menschen immer eine wichtige Rolle gespielt, aber nicht als erfundene, sondern als wahre Geschichten. Einer berichtet von einer Reise oder von Tricks, wie man überlebt und über Feinde siegt. Daraus lernen die Zuhörer etwas über die Welt. Früher haben sich Schriftsteller sogar seitenweise damit gerechtfertigt, es sei eine wahre Geschichte, die sie erzählen. Cervantes, der Urvater aller Romane, hat seinen Don Quijote beispielsweise mit zum Schlag erhobenem Schwert mitten in der Szene stehen lassen wie eingefroren. Er erklärt, den Ausgang des Kampfs könne er nicht schildern, denn das Manuskript des Quijote-Biografen, welches ihm vorliege, ende an dieser Stelle.«
    »Ganz schön frech!«
    »Und so wird der Autor zum Rechercheur. Cervantes schreibt, er als Autor ›no quiso creer que tan curiosa historia estuviese entregada a las leyes del olvido‹ …«
    Mir brauchte er es nicht zu übersetzen, er tat es trotzdem und wie üblich in seinen eigenen Worten.
    »… dass er also ›nicht glauben wolle, dass diese merkwürdige Geschichte den Gesetzen des Vergessens überlassen worden sein sollte‹, und macht sich auf die Suche nach der Fortsetzung. Die Kunst besteht nicht dar in, eine Geschichte zu erfinden, Lisa, sondern dem Leser Verständnis für die handelnden Figuren zu ermöglichen, ihm das Fremdartige begreiflich zu machen. Die

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