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Malefizkrott

Malefizkrott

Titel: Malefizkrott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Es hatte zwar eine gewisse Ähnlichkeit mit dem des Mannes mit der Pistole unterm Blouson in meinem Film, aber es war nicht dasselbe Gesicht. Es war ein altes humorloses Gesicht, böse und brutal, eigenartig starr und seltsam unfähig zu Gefühlsregungen.
    »Sie haben das hier verloren«, sagte ich und streckte ihm auf meiner Handfläche mein Plastikfeuerzeug hin. Es war das Erste, was ich in meiner Westentasche zu fassen bekommen hatte.
    »Ich rauche nicht!«, krächzte er.
    Ich schaute ihm in die Augen, ausdruckslose, aber kla re braune Augen mit dunklen Wimpern. Er schaute zurück in meine. Für einen Moment starrten wir uns an. Fast schien es, als wolle er etwas sagen. So etwas wie: »Ich werde euch immer finden.« Oder: »Ich kann euch töten, wann immer ich will.«
    Mir klopfte das Herz.
    Doch da wandte er den Blick ab, drehte sich um, setzte seinen Weg fort und verschwand zwischen Kleiderläden, Handtaschen, Postkarten, gebräunten Menschen in Radfahrerhosen mit Rennrädern an der Hand und jungen Frauen auf Shoppingtour.
    Offenbar wollte er uns heute nicht töten.
    Noch bevor es dunkel war, saßen Lola und ich in einem Taxi und ließen uns nach Lindau und noch weiter, über die österreichische Grenze, nach Bregenz bringen, wo wir in einem muffigen Hotel der Kategorie Puff mit Vertreterpension abstiegen.
    Und wenn es bloß ein Polizeibeamter in Zivil gewesen war, der den Auftrag hatte, uns – vor allem Lola – unauffällig zu bewachen?
    Dann würden jetzt einige fluchen in Stuttgart.
     
    Während es sich einzuregnen begann, nahmen wir mit leichtem Gepäck den Aufstieg zum Pfänder in Angriff. Es schien mir angeraten, unübersichtliche Menschenmengen erst einmal zu meiden. Hinter und vor uns ging niemand, und die insgesamt vier Wandersleut, die uns den Berg herab entgegenkamen, sprachen uns nur an, um uns zu informieren, dass wir weiter oben nicht weiterkommen würden. Der Weg sei verschüttet. Das erschütterte uns nicht. In hellen Bächen rann uns der Regen über Wurzeln und Steine entgegen. Cipión war grätig. Sein Bauch war nass, der Schlamm hing ihm im Bart und die Nachrichten, die andere Hunde hinterlassen hatten, waren kümmerlich und überdies Tage alt. Lola dagegen stapfte zügig vorneweg. Sie hatte sich gemacht in den letzten zweieinhalb Wochen. Sie wanderte ohne zu zicken. Ihre Wangen waren rosig, die Grübchen blühten lustig, ihre Augen glänzten. Sie hatte sich einen Bodenseereiseführer gekauft, las und guckte hin. »Martin Walser war ja stocksauer über den Brunnen«, wusste sie inzwischen. »Stell dir vor, deine Heimatstadt setzt dir ein Denkmal, zu dei nen Lebzeiten, und dir fällt nichts Besseres ein, als beleidigt zu sein! Hoffentlich werde ich nie so.«
    Der Weg wurde steil und knorrig. Cipión ließ sich über die Felsen heben. Bäume standen nass und düster. Nur einmal hatten wir Durchblick auf die Kabel der Gondel, die von der Talstation zur Bergstation fuhr. Endlich kamen wir an die Stelle, wo die Mure über den Weg gerauscht war. Sie hatte Bäume kreuz und quer gelegt und Schlamm aufgetürmt, in dem jemand ein knietiefes Loch hinterlassen hatte.
    In Cipións Bart stand: »Ohne mich!«
    Aber Lola gehörte zu denen, die sich ihren Weg nicht vom Weg diktieren ließen. »Da drüben, und dann da rü ber«, sagte sie.
    »Kehren wir um. Mit Gebirge ist nicht zu spaßen. Glaub mir.«
    Sie lachte, angelte nach einem Bäumchen und zog sich einen moosweichen Hang hinauf. »Da geht es weiter«, rief sie von oben. »Los, komm! Sei kein Frosch!«
    Ich hob Cipión so hoch ich konnte. Er krallte sich mit allen vier Pfoten zu Lola hinauf. Ich folgte zweibeinig und fühlte mich alt. Lola schwang die Beine über querliegende Bäume und versank dahinter lustig kreischend im Schlamm. Ich klemmte mir Cipión untern Arm und fluchte. Abstehende Zweige verhakelten sich in meiner Jacke. Bäume waren eindeutig praktischer, wenn sie standen. Ich hob das Bein über den letzten Stamm, der Boden gab unter mir nach, mein Fuß versank in Schlamm, ich wankte, Cipión zappelte sich frei und rettete sich mit einem Sprung aus meinem Arm. Ich verlor das Gleichgewicht und krallte mich an Lola fest. Der Zweig, nach dem sie fasste, brach sofort ab, und gemeinsam kippten wir um. Der Boden schmatzte lüstern und rutschte ein bisschen, wir kreischten, alles kam zur Ruhe, Wasser plätscherte nach. Dann rausch te wieder nur der Wald leise unterm Regen.
    Ich lag unten und Lola halb auf mir, schwer, schlammgrau und glitschig

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